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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula
Autoren: Roderick Anscombe
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Fleck auf ihrem Handrücken beschäftigt, den sie mit dem Daumennagel zu entfernen versuchte.
    Stacia biß unentschlossen auf ihre Unterlippe. Ihr sozialer Instinkt verbot ihr, anzurühren, was für einen Mann weit über ihrem eigenen Stand reserviert war.
    Einigen meiner Kollegen, die sich verzweifelt bemühten, ein Grinsen zu unterdrücken, kam die Szene wohl komisch vor. Aber für mich waren die Verzweiflung und die Skrupel des Mädchens so real und offensichtlich, daß die Szene nicht eines gewissen Pathos entbehrte.
    Schließlich faßte Stacia einen Entschluß und ging auf das Lesepult zu.
    Charcot sah sie und schien erstaunt.
    »Mademoiselle?« fragte er in scharfem Ton.
    Mit ausgestreckter Hand, um das Glas von der Karaffe zu nehmen, drehte sie sich so kurz vor ihrem Ziel um, und als ich den erschrockenen Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, ergriff mich Mitleid.
    »Seien Sie so gut, und kehren Sie an Ihren Platz zurück, bis die Vorlesung vorbei ist«, befahl der Professor in sehr gebieterischem Ton, der keine Widerrede duldete.
    Stacia war hin und her gerissen, aber sie hielt die Stellung. »Entschuldigen Sie, aber ich bin sehr durstig«, sagte sie.
    Charcot sah Madame Verdun an, um von ihr eine Erklärung zu bekommen, aber sie deutete mit einer höflichen Geste ihr Unverständnis an. »In wenigen Minuten werden Sie wieder auf Ihrer Station sein, dort können Sie so viel Wasser trinken, wie Sie wollen«, sagte Charcot zu Stacia.
    Stacia verbeugte sich dankbar, schien aber beunruhigt und ein wenig unzufrieden, als sie zu ihrem Stuhl zurückging. Charcot fuhr mit der Diskussion fort, aber Stacia war unruhig und sah mal hier und mal da hin. Plötzlich stand sie mit einem Ruck auf und ging zielbewußt auf das Lesepult zu. Der Konflikt war gelöst, ihre Skrupel waren weggewischt. Energisch ergriff sie die Karaffe und schenkte dem Gurgeln und Spritzen des Wassers keine Beachtung, als sie es ins Glas schüttete. Sie füllte es bis zum Rand. Trotzig trank sie es aus, aber als sie fertig war, schien sie plötzlich keinen eigenen Willen mehr zu haben.
    Charcot hielt sie auf, als sie an ihren Platz zurückging. »Und? War es gut, Mademoiselle?« fragte er.
    Seine Augen glitzerten belustigt. Wie der Regen bei einem Gewittersturm, der die Spannung aufhebt, erfüllte Gelächter und dann Applaus den Saal. Sie klatschten dem Meister Beifall, für seinen coup de théâtre, seinen coup de science, für die Art und Weise, wie er das Bewußtsein dazu gebracht hatte, dieses außerordentlich schwer faßbare Objekt der Wissenschaft, den menschlichen Geist, auf sich einwirken zu lassen. Doch mein Beifall galt Stacia.
    Im Saal herrschte jetzt eine neue Zwanglosigkeit. Wenigstens ließ der Meister diesen Eindruck zu, während er den Ellbogen auf das Lesepult stützte und das Glas nachdenklich zwischen den Fingerspitzen hielt, ein kleiner pompöser Hamlet mit Yoricks Schädel.
    »Wir sind Wissenschaftler, Stacia. Sie müssen uns gewähren lassen«, sagte er und winkte ihr, zu ihm ans Lesepult zu kommen. Sie lächelte süß. »So wie andere Wissenschaftler den Aufbau einer Blume studieren, wissen wir, wie sich ein Gedanke zusammensetzt. «
    »Ich werde Ihre Fragen, so gut ich kann, beantworten.«

    Ich wunderte mich, daß die energische Frau, die das Wasser getrunken hatte, verschwunden war. Dieses sanftmütige Mädchen, um das der Professor mit väterlicher Geste den Arm gelegt hatte, war eine ganz andere Person.
    »Ich glaube, Sie können uns helfen, etwas zu verstehen, das uns neugierig macht.« Er sprach mit gleichgültiger Stimme, als müßte er nur noch eine Kleinigkeit erledigen, die an diesem Tag geklärt gehörte, um dann in aller Ruhe nach Hause gehen zu können, um mit seiner Frau und seinen Kindern zu Mittag zu essen. »Wir sind neugierig – nur neugierig, wissen Sie –, zu erfahren, was Sie veranlaßt hat, aufzustehen und dort drüben aus der Karaffe zu trinken.«
    Sie schien verwirrt. »Es war nur so ein Gefühl, dem ich nicht widerstehen konnte. Und da habe ich das Wasser gesehen.«
    »Hat Ihnen irgend jemand gesagt, daß Sie es tun sollen?«
    Man konnte sehen, daß sie sich alle Mühe gab, hilfreich zu sein. Sie wollte ihm geben, was er haben wollte, aber sie wußte nicht, was es war.
    »Sehen Sie sich einmal genau um, Stacia. Sehen Sie sich die Doktoren gut an, und sagen Sie mir, ob Ihnen irgendeiner von ihnen gesagt hat, daß Sie es tun sollen.«
    Zuerst war sie etwas schüchtern, aber dann sah sie sich die Versammlung
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