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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula
Autoren: Roderick Anscombe
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diesem warmen Frühlingstag ein Todes frösteln.
    Ich bin enttäuscht, daß meine Tante keine Schritte unternommen hat, um sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich hatte ihr noch vor meinem Weggehen aus Ungarn geschrieben. Hätten sie nicht bei ihren Dienern eine Nachricht für mich hinterlassen können, da sie ja wußten, daß ich früher oder später vorsprechen würde, und die Anweisung, mich mit der einem Familienangehörigen zustehenden Achtung zu behandeln?
    Ich erinnere mich an Tante Sophie nur von dem Besuch, den sie und Nicole uns kurz vor dem Tod meiner Mutter abgestattet hatten, aber meine Erinnerungen an Nicole waren überwältigend. Wir waren damals beide dreizehn Jahre alt gewesen, aber sie war in jeder Hinsicht schon viel weiter als ich, schon fast eine Frau, während ich im großen und ganzen noch ein Kind war – ein schmachtender, verträumter Junge mit viel zu starken Gefühlen, um damit umgehen zu können.
    Nicole war auf eine wundersame Weise hübsch, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ihre Augenwimpern waren dicht und lang, und sie hatte die Angewohnheit, sich ein wenig auf die Seite zu drehen, als wollte sie über irgend etwas nachdenken, und mit den Augen zu blinzeln, was ich absolut hinreißend fand. Sie war sich ihrer Wirkung auf mich sehr wohl bewußt. Sie neckte mich mit ihrem Benehmen, beglückte mich mit kleinen Zeichen der Zuneigung und stürzte mich auf genauso unerklärliche und verwirrende Art mit einem abweisenden Wort oder gar völligem Schweigen für den Rest des Tages ins tiefste Unglück.
    All dies tat sie, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß es zwischen uns noch andere Gefühle gab als die der widerwilligen Kameradschaft zwischen Cousins, die umständehalber gezwungen waren, einen ganzen Sommer lang miteinander auszukommen.
    Besonders eine Erinnerung an Nicole habe ich in meinem Herzen aufbewahrt.
    Sie ist mir so kostbar, daß ich kaum daran zu denken wage, aus Angst, ich könnte sie in ihrer delikaten Beschaffenheit zerstören, indem ich sie Stück für Stück neu erfinde, um die Lücken an den Stellen zu schließen, an denen sich die Wahrheit schon abgenutzt hat.
    Es war nach dem Mittagessen, und die Erwachsenen waren in ihre Zimmer gegangen, um sich auszuruhen oder sonstwie zu beschäftigen. Ich schrieb ein Gedicht an Nicole. Während ich in Gedanken versunken und mit dem Federhalter zwischen den Zähnen durch die offenen Terrassentüren der Bibliothek in den Garten starrte, hätte ich eigentlich schon längst bemerken müssen, daß sich jemand von hinten an mich heranschlich. Ich befürchtete das Schlimmste, nämlich daß es Georg war. Auf keinen Fall durfte etwas so Verdammenswertes, so Verweichlichtes wie ein Gedicht an die Liebe je in seine Hände fallen.
    Aber es war Nicole, die mit einem glockenhellen Lachen über meine Schulter griff und mir das Blatt Papier entriß. Ich ließ mir Zeit, als ich ihr hinaus in den Garten folgte, und an der Tür sah ich, daß sie mitten auf dem Rasen stand, um sich anzusehen, was sie mir weggenommen hatte.
    Himmel, in welche Höhen sich László schwingt – nichts Geringeres als Poesie! verriet ihr Gelächter. Dann brach das Lachen ab – in einem Augenblick der Ekstase, die mich immer wie ein Schluchzer ergreift –, weil sie begonnen hatte, meine Wörter zu lesen, und begriff, daß ich das Gedicht für sie geschrieben hatte. Wieder erklang ihr gezwungenes spöttisches Lachen, aber ich hatte erreicht, was ich wollte, und trat ins Freie, um ihre Verfolgung aufzunehmen, so wie sie es von mir erwartete. Sie stand noch immer in der Mitte des Rasens und las einen weiteren Vers. Ich hatte schon Angst, daß sie ihn laut lesen würde und daß Georg, durch die Störung aufmerksam geworden, kommen und sie hören würde, und so lief ich schnell zu ihr, um mir das Gedicht zurückzuholen. Ich griff nach dem Blatt Papier, aber sie machte mit erstaunlicher Behendigkeit einen Schritt zur Seite, wehrte so meinen Angriff ab und lief dann in Richtung Garten davon. Das brachte uns in eine sichere Entfernung zum Schloß und gab mir die Gewißheit, die Wiedererlangung meines Werks ohne Bedenken hinausschieben zu können, bis sie jedes einzelne Wort davon gelesen hatte. Sie versteckte sich hinter dem Belvedere. Ich näherte mich ihr von der einen Seite seiner runden Holzwände, und sie lief, wie ich erwartet hatte, aus dem Schutz der Wände fort und einen Pfad entlang. Ich sah, wie sie beim Laufen mein Gedicht mit der Hand an ihr Herz drückte.
    Ich
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