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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula
Autoren: Roderick Anscombe
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dem Haus meiner Tante drückte sich an ihr vorbei und kam in mein Wohnzimmer. Er hatte ein Couvert bei sich, aber seine Mission hielt ihn nicht davon ab, sich abschätzend bei mir umzusehen, bevor er es mir überreichte. Mit geradezu marktschreierischer Neugier verrenkte sich Madame Thébauld von der Tür aus den Kopf.
    Ich öffnete den Umschlag und zog die Karte aus Büttenpapier heraus.
    »Madame Berthier wird am Donnerstag von drei bis fünf Uhr zu Hause sein«, war darauf gedruckt. Und darunter stand mit kleiner, säuberlicher Handschrift geschrieben: »Bitte komm. Wir würden uns freuen, Dich zu sehen. Deine Tante Sophie.«
    Der Diener wartete sichtlich gelangweilt auf meine Antwort.
    »Ich bin entzückt. Bitte überbringen Sie Madame Berthier meinen Dank. Ich werde sehr gerne kommen.«
    Er nahm diese Nachricht entgegen, als hätte er sie erwartet, deutete eine kaum wahrnehmbare Verbeugung an und ging wieder.
    Madame Thébauld war sichtlich unzufrieden. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, zu denen sich in ihrem Gebäude etwas tat, ohne daß sie wußte, was es war.
    »Eine hübsche Einladung«, begann sie und wäre noch geblieben, um mich in ein Gespräch zu verwickeln, hätte ich mich nicht vor die Tür gestellt. Sie fragte so beharrlich weiter, daß ich ihr die Tür vor der Nase zuschlug.
    Als ich endlich wieder allein war, konnte ich meiner Freude Luft machen. Ich ging mit der Karte ans Fenster, um sie nach näheren Hinweisen zu untersuchen, wie ich aufgenommen werden würde. Aber die Handschrift meiner Tante, sehr ordentlich und ohne Schnörkel, verrät nichts. Die Nachricht selbst ist genau unten in der Mitte der Karte geschrieben – wenigstens nicht hastig oder als Nachgedanke, obwohl ich zugeben muß, daß ich wegen des Zeitpunkts der Einladung leichte Zweifel hege. Schließlich liegt mein Eintreffen in Paris schon über eine Woche zurück. Aber vielleicht hält man das hier so. Man gibt sich reserviert, als wären Gefühle unangebracht oder Freundlichkeit naiv, und so muß ich wohl, obwohl das meiner wahren Natur widerstrebt, eine gewisse ennui vortäuschen, wenn ich mich hier in der Gesellschaft behaupten will. Und was die Worte meiner Tante betrifft, so habe ich sie schon so viele Male immer wieder gelesen, um irgendwelche Nuancen der Zuneigung zu entdecken, daß sie schließlich jede Bedeutung verloren haben.
    Es finden sich keinerlei Hinweise darauf, was mich erwartet. Die Zeit hat alles verändert. Die Berthiers sind groß und einflußreich geworden, während meine eigene Familie in einer unbedeutenden Provinz des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs in ländlicher Rückständigkeit dahinsiecht. Und ich kann es kaum erwarten, das Mädchen meiner Erinnerungen der realen Nicole, die jetzt eine Frau sein muß, gegenüberzustellen.

    NACHMITTAG

    Ich habe mich mit meiner Arbeit im Hôpital beeilt, um zu Tante Sophies
    »Empfang« nicht zu spät zu kommen, und muß jetzt leider feststellen, daß ich viel zu früh fertig bin und die Zeit totschlagen muß. Es würde hoffnungslos unerfahren und übereifrig aussehen, wenn ich gleich um drei Uhr erscheinen würde. Ich mußte den ganzen Tag an Nicole denken, aber natürlich weiß ich eigentlich gar nicht, an wen ich denke, denn Nicole ist eine Abstraktion. Ich weiß nicht einmal, ob sie sich nach den zehn Jahren noch an mich erinnert. Aber das ist albern. Denn es hat etwas gegeben zwischen uns, etwas Unausgesprochenes und um so Geheimnisvolleres und Dauerhaftes.
    Nicole ist für mich Prüfstein und Maßstab gewesen. Nie wieder habe ich eine solche Freude am Dasein einer anderen Person verspürt. Ich nehme an, das beweist, wie unerfahren ich in Wirklichkeit bin, aber die Wahrheit ist, daß es seit Nicole niemandem gelungen ist, mich mit nur einem Wort oder einem sanften Lächeln in derartige Verzückung zu versetzen. Ich spürte, daß sie genauso fühlte wie ich, aber da sie eine Frau war, noch dazu eine Französin, verbarg sie ihre wahren Gefühle hinter ihrer spielerischen und manchmal neckenden Art. Nur gelegentlich ertappte ich sie dabei, wie sie mich nachdenklich betrachtete, während ich mit etwas anderem beschäftigt war oder mich mit jemand anderem unterhielt, und ihr Blick war von einer solchen Zärtlichkeit, daß mein Herz höher zu schlagen begann.
    Georg hat mir gestattet, Vaters besten Gehrock mit auf die Reise zu nehmen.
    Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater, aber der Gehrock paßt mir gut, selbst die Ärmel haben die richtige
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