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Das Gedächtnis der Libellen

Das Gedächtnis der Libellen

Titel: Das Gedächtnis der Libellen
Autoren: Marica Bodrožic
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Herzklopfen verursachender Kaffee tun. Wir lachten darüber, weil alles so schön bitter auf der Zunge zerging, die erstsprachlichen wie die zweitsprachlichen Wörter, Wörter überhaupt, sie waren unsere bewährten Medikamente. Manchmal schien auch das Denken eine Schmelze zu erfahren. Wir glitten vom Denken ins Erzählen, segelten auf unseren Erinnerungen und inneren Bildern hinüber, in irgendetwas Drittes, das wir noch nicht kannten. Ohne es selbst zu bemerken, wurden wir dieses Dritte, dieses innere Land, an dem die Träume und die Wunder mit einer mathematischen Präzision wachsen, dass man erschrecken könnte über sich selbst, über die anderen, über die Namen, die einfachsten Dinge und Wetterverhältnisse. Erst später wurde uns klar, wie flüchtig dieser Zustand war, wie schnell uns das Denken verließ und dem reinen Klangsaum unserer Sätze übergab, als seien wir Früchte, die man nur in der Sprache ernten darf.

    Manchmal, da öffnete sich eine Tür in Arjetas Augen, etwas Neues leuchtete aus ihr heraus, leuchtete mich an. Ich wurde glücklich wegen nichts. In diesen Augenblicken kam es mir dann vor, als würden wir, Arjeta und ich, füreinander unsere eigene Apostelgeschichte sein und als bräuchten wir nie wieder einen Geliebten, nicht ein einziges Mal einen Kuss von einem Mann. Irgendetwas Freies und Unbegrenztes lebte beständig in uns weiter, seit Urzeiten, so schien es, so sah es aus, wenn der Kaffee bitterer als alles andere Bittere schmeckte. Diese Kraft, die sich dann selbst durch uns freisetzte, hatte das Flussbecken der Zeit überdauert, körperlos, war nicht gebunden an einen Pass, an eine Identitätskarte, war etwas, das auf kein Papier passte. Wie hörten wir denn einander nur, fragte ich mich dann. Wie, auf welche Weise hören wir denn alle jene Sprache, in der wir geboren werden, wie hören wir die anderen, neuen Sprachen, die unsere neuen Muttersprachen, Vatersprachen, Liebessprachen werden?

    Arjeta war Atheistin. Mit der Apostelgeschichte konnte sie überhaupt nichts anfangen. Aber es faszinierte sie genauso wie mich, dass die Mehrsprachigkeit schon in der Bibel erwähnt worden war. Wie Ilja ließ auch sie sich widerstandslos alles aus der Bibel von mir vorlesen. Atheisten suchen sonst immer Beweise für ihre eigene Art von Glauben. Arjetas Fähigkeit zuzuhören überwog jedoch in allem. Sie sagte nichts zu den Stellen, die ich ihr vorlas. Wie hört denn ein jeglicher seine Sprache, darin wir geboren sind ... es geschah schnell ein Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, dem ich nicht genugsam bin, seine Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Und sie wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darin wir geboren sind? Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und an den Enden von Libyen bei Kyrene und Ausländer von Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.
    Unsere Zusammenkünfte hinterließen stets etwas geerdet Erfrischendes in uns, diese Art, beim Kaffee von den Gedanken zu den Bildern hinüberzugleiten, das machte uns beide lebendig und befreite uns von aller Melancholie. Wir verloren und wir gewannen zur gleichen Zeit und in gleichem Maße an Erinnerung. Mit Arjeta habe ich das gelernt, diese Art von Leben, so, wie man das Singen erlernen kann, ein zeitgleiches Vorwärts- und Rückwärtsgehen in der Stimme war es, etwas, das der Körper mit den Füßen niemals verwirklichen kann. Ich weiß, dass es falsch ist, sagte ich zu Arjeta, aber nirgendwo
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