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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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abhängig. Als ich dich zum ersten Mal sah, liebte ich dich, nicht deinen Gang.«
    Anne von Seydlitz staunte über die einfühlsamen Worte des Mannes. Dieser Donat war ein Mann mit zwei Seelen, einer zärtlichen, empfindsamen gegenüber seiner Frau und einer rücksichtslos radikalen gegenüber der Kirche. Schließlich wiederholte sie an Donat die Frage: »Wie kam die Frau im Wagen meines Mannes dazu, sich als Ihre Frau auszugeben?«
    »Die Kunde, daß ein deutscher Kunsthändler, vermutlich ohne seine Bedeutung zu kennen, in den Besitz des letzten fehlenden und dabei wichtigsten Fragmentes des fünften Evangeliums gelangt war, verbreitete sich unter allen, die damit in Verbindung standen, wie ein Lauffeuer. Ein Verkaufstermin, den Thales mit Ihrem Mann in Berlin vereinbart hatte, erschien den Orphikern wohl mit einem Mal gefährlich spät, so daß sie eine – uns unbekannte – Agentin, ausgestattet mit den Personalpapieren, die meine Frau in Griechenland zurücklassen mußte, vorausschickten. Die genauen Umstände des Zusammentreffens Ihres Mannes mit dieser Frau sind schwer zu rekonstruieren.«
    »Soviel mir bekannt ist, befand Guido sich auf dem Weg nach Berlin. Er muß zu diesem Zeitpunkt das Pergament jedoch schon an Professor Vossius verkauft haben, denn er führte es nicht mit sich, und später tauchte es bei Vossius in Paris auf. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, welches Ziel verfolgte die Frau in Guidos Wagen?«
    »Ich halte es durchaus für möglich«, unterbrach Donat, »daß die Orphiker, die offenbar glaubten, Ihr Mann habe das Pergament noch immer in seinem Besitz, einen Lockvogel ansetzten, eine Frau, die Ihrem Mann schöne Augen machen sollte, um so in den Besitz des Pergamentes zu gelangen, und wer weiß …« Donat unterbrach seinen Redefluß.
    »Sie können ruhig aussprechen, was Sie vermuten«, nahm Anne seine Rede auf, »wer weiß, vielleicht suchte der Mann nur ein Abenteuer. Vielleicht. Aber dann passierte der verhängnisvolle Unfall.«
    Donat nickte.
    »Und Vossius?« erkundigte sich Anne, der nun auf einmal tausend Gedanken durch den Kopf gingen. »Wer hat Professor Vossius auf dem Gewissen?«
    »Vossius war kein Einzelkämpfer. Er war einer von den Orphikern. Sollte er eines gewaltsamen Todes gestorben sein, so erübrigt sich die Frage nach seinen Mördern.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Anne nachdenklich, »nur eines begreife ich noch immer nicht. Islamisten, Orphiker und die Kurie beschäftigen sich seit Jahren mit der Übersetzung des fünften Evangeliums. Warum ist gerade dieses kleine Fragment von so großer Bedeutung, daß, um in den Besitz zu gelangen, Menschen getötet und ungeheure Mittel eingesetzt werden, warum?«
5
    H anna Donat gab ihrem Mann ein Zeichen, und er lenkte ihren Rollstuhl zu der Stelle, wo vor ihr auf dem Tisch die Fotokopie des kleinen Pergaments eingeklebt war. Beinahe andachtsvoll blickte sie auf die unleserlichen Schriftzeichen und sagte: »Ich glaube, Sie haben ein Recht zu erfahren, worum es hier geht. Schließlich sind Sie, auch wenn Sie nicht mehr darüber verfügen, immer noch die rechtmäßige Besitzerin.« Und dann holte sie weit aus und berichtete von den vier Evangelien, die im Abstand von fünfzig bis neunzig Jahren vom tatsächlichen Geschehen aufgezeichnet worden seien, von Menschen, die die Hauptfigur des Geschehens nie gekannt und voneinander abgeschrieben hätten wie freche Schuljungen. Daneben gebe es eine ganze Reihe von Apokryphen, Evangelien, deren historische Bedeutung noch weit geringer sei als die der eigentlichen Evangelien. Mit anderen Worten, die christliche Überlieferung des Neuen Testamentes stehe auf tönernen Füßen. Das fünfte Evangelium hingegen werde in seiner Echtheit sogar von Naturwissenschaftlern bestätigt. Die Thermolumineszenzmethode habe den Beweis erbracht, daß dieses Pergament exakt in der Zeit aufgezeichnet wurde, die sein Verfasser beschreibt, also auf jeden Fall vor den vier übrigen Evangelien, und dieses Evangelium stelle das Leben des Jesus von Nazareth in ein ganz anderes Licht.
    Anne wandte ein, der Kirche werde es gewiß auch in diesem Fall gelingen, die Dinge zu ihrer Zufriedenheit zu interpretieren.
    Da schüttelte die Frau im Rollstuhl den Kopf. »Das mag für die eine oder andere Stelle möglich sein, aber nicht für diese. Ich gebe sie im Wortlaut wieder: ›… ER, DER DIES NIEDERSCHREIBT – TRÄGT DEN NAMEN BARABBAS – UND WISSET, BARABBAS IST DER SOHN DES JESUS VON
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