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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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gefährlichste Waffe ist die Schrift, und diese Schrift soll ihnen jetzt den Todesstoß versetzen.«
    Der Haß und Fanatismus, mit dem Donat redete, veranlaßte Anne von Seydlitz zu der Frage: »Sie sind …?«
    »Ja«, fiel ihr Donat ins Wort, »ich bin Muslim. Das wollten Sie doch fragen?«
    »Das wollte ich fragen«, wiederholte Anne und fügte hinzu: »Aber da ist noch etwas, was mich in diesem Zusammenhang interessiert: Woher rührt Ihr tiefer Haß gegen die Institution der Kirche?«
    Donat trug ein legeres, ausgebeultes Sakko. Aus der Innentasche zog er eine Brieftasche. Diese öffnete er mit einer gewissen Andacht, wie man ein kostbares Buch aufschlägt, und entnahm ihr eine Fotografie. Er legte sie vor Anne auf den Tisch. Das Bild zeigte einen Mönch in Benediktiner- oder Franziskanerkutte: Donat. Donat schwieg.
    Das also war der Grund. Von Anfang an, seit sie diesem Mann zum ersten Mal begegnet war, war ihr aufgefallen, er hatte etwas Klerikales an sich. Die Kutte verändert nicht nur den Habitus, sie verändert auch ein Gesicht. Aber was hatte Donat dazu gebracht, die Kutte an den Nagel zu hängen?
    »Der Grund war eine Frau«, begann Donat ganz von selbst zu berichten, »der Grund war Hanna Luise, meine spätere Frau.«
    Mit einem Mal stand alles wieder vor ihr, aufgereiht wie eine Reihe lebender Bilder; Guidos Unfall, die rätselhafte Frau in seinem Wagen. Was in aller Welt hatte sie mit Guido zu tun?
    »Ich konnte Ihnen damals nicht die volle Wahrheit sagen«, fuhr Donat fort, »Sie hätten sie mir ohnehin nicht geglaubt, und die halbe Wahrheit hätte Sie nur noch mißtrauischer gemacht. Für mich aber gab es nur ein Ziel, das Pergament, verstehen Sie?«
    Anne verstand überhaupt nichts, und wenn sie auch den Eindruck hatte, daß Donat sich ehrlich mühte, ihr alles zu erklären, so blieben ihr die Zusammenhänge dennoch verborgen. »Wer war die Frau im Unfallauto meines Mannes?« fragte sie drängend, und unsicher fügte sie hinzu: »Ist Guido noch am Leben?«
    »Ihr Mann ist tot, Frau von Seydlitz. Was im Zusammenhang mit Ihrem verstorbenen Mann an Schabernack passiert ist, geht auf das Konto der Orphiker. Die wollten Sie nervlich fertigmachen, sie hofften damit leichter an das Pergament zu kommen. Und was die Frau im Auto Ihres Mannes betrifft, so hatte sie zwar die Ausweispapiere meiner Frau bei sich, aber die Frau in dem Auto war nicht meine Frau.«
    »Wer dann?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es eine Agentin der Orphiker gewesen sein muß; denn die Orphiker befanden sich im Besitz der Personalpapiere meiner Frau.«
    In Annes Kopf ging alles durcheinander. »Gestatten Sie mir die Frage«, sagte sie entschuldigend, »Ihre Frau ist doch an den Rollstuhl gefesselt? Was, um alles in der Welt, hat Ihre Frau mit den Orphikern zu tun?«
    Donat überlegte kurz, dann erhob er sich und sagte: »Es ist am besten, wenn Hanna Ihnen das selbst erzählt. Kommen Sie!«
4
    D urch den Flur mit vielen Türen nach allen Seiten führte Donat die Besucherin zu einem zweiten, schmalen Treppenhaus, von dem, ein Stockwerk tiefer, ein niedriger, spärlich beleuchteter Gang zu einem Hinterhaus führte mit vielen kleinen Fenstern und ebenso vielen Räumen. Hier herrschte eine eigenartige Büroatmosphäre. Anne hörte Schreibmaschinengeklapper und einen Fernschreiber.
    »Offiziell«, bemerkte Donat, »ist das ein islamisches Kulturzentrum, aber in Wirklichkeit haben wir uns hier seit drei Jahren mit nichts anderem beschäftigt als dem fünften Evangelium.« Am Ende des Ganges öffnete Donat eine Tür und machte eine einladende Handbewegung.
    Der Raum war hell erleuchtet. Vor einem Tisch, der an allen vier Wänden entlangführte, saß Hanna Luise Donat in ihrem Rollstuhl. Auch die Frau schien weniger erstaunt, als Annes unerwartetes Erscheinen hätte vermuten lassen. Sie zeigte sich außergewöhnlich freundlich, und Anne bemerkte, daß vor ihr auf den Tischen Kopien des vollständigen Pergaments aufgeklebt waren, fünfzig oder sechzig aneinandergereihte Fragmente. Sie deutete mit dem Kinn auf eines der zerfledderten Teilstücke: »Und dieses Fragment, das letzte in der Reihe, kommt Ihnen vielleicht bekannt vor. Nein, es ist nicht das Original, nur eine Arbeitskopie. Das Original ist in einem Safe, und wir werden es an einen Ort bringen, wo es wirklich sicher ist.«
    Natürlich erkannte Anne von Seydlitz ihr Fragment wieder. Sie war geneigt zu sagen: Und deshalb die ganze Aufregung? Aber sie hielt sich
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