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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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für sehr gut möglich.« Zugleich mit dieser Antwort kam Anne zu Bewußtsein, daß sie zu Déruchette viel zuviel Zutrauen gewonnen hatte und daß, wollte sie nicht Gefahr laufen, sich zu verplaudern, es höchste Zeit war, sich zu verabschieden. »Monsieur«, sagte sie höflich, »ich hoffe, ich habe nicht allzuviel Ihrer kostbaren Zeit gestohlen. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«
    »Aber ich bitte Sie, Madame!« Déruchette zeigte sich ernsthaft um gute Umgangsformen bemüht. »Wenn ich Ihnen noch auf irgendeine Weise behilflich sein kann, rufen Sie mich an. Im übrigen entspringt es meiner ganz persönlichen Neugierde, den Ausgang Ihrer Geschichte zu erfahren.«
    Vor dem Verlagshaus Rue Pierre-Charon 51 atmete Anne von Seydlitz erst einmal tief durch. Sollte sie aufgeben? Nein, dachte sie, das würde alles nur noch schlimmer machen. In ihrer Ungewißheit würde sie nie mehr zur Ruhe kommen. Vor allem, dachte sie, war ihr Leben jetzt, da der falsche Kleiber mitsamt dem Pergament verschwunden war, keinen Pfifferling wert. Man würde sie in eine Falle locken und auf so hinterhältige Weise beseitigen wie Vossius und all die anderen Mitwisser.
2
    I hr Entschluß war schnell gefaßt. Am folgenden Tag reiste Anne von Seydlitz nach Rom, wo sie in einem kleinen Hotel an der Via Cavour nahe Stazione Termini abstieg. Dort wurde ihr auch bestätigt, daß es am Campo dei Fiori eine Via Baullari gab, aber, mahnte der Portier mit erhobenem Zeigefinger, für eine wirkliche Dame schicke es sich nicht, dort zu später Stunde gesehen zu werden, und dabei verdrehte er die Augen himmelwärts – was immer das zu bedeuten hatte. Bei Tag, meinte er, sei das jedoch eine Gegend wie alle anderen.
    Diese Eröffnung nahm Anne von Seydlitz zum Anlaß, sich erst einmal auszuschlafen.
    In Rom herrschte in diesen Tagen große Aufregung. Sie dauerte schon seit dem 25. Dezember, seit Kardinal Felici in der Vorhalle der Vatikanbasilika die Bulle › Humanae salutis ‹ vorgelesen hatte, mit welcher der Papst ein Konzil einberief. Im Laufe des Tages war dieser Akt von Prälaten in den drei Hauptbasiliken Roms wiederholt worden. Über das Datum, vor allem aber über die Gründe des Konzils hatte sich die Kurie in Schweigen gehüllt und damit zu wilden Spekulationen Anlaß gegeben.
    Wie bedeutungsvoll dieses Konzil von der Kurie erachtet wurde, ging aus Zeitungsmeldungen hervor, wonach 829 Personen mit der Vorbereitung betraut waren und sich zumindest zeitweise in Rom aufhielten, unter ihnen 60 Kardinäle, fünf orientalische Patriarchen, 120 Erzbischöfe, 219 Mitglieder des Weltklerus, 281 Ordensleute, darunter 18 Generalobere.
    Vor wenigen Tagen, genau am Freitag, dem 2. Februar, hatte der Papst die Eröffnung des Konzils für den 11. Oktober verkündet. Er hatte dabei krank und zerfahren gewirkt, ohne das Lächeln, das ihn früher auszeichnete. Und als eine Woche später das Päpstliche Schreiben › Sacrae laudis ‹ veröffentlicht wurde, das den Klerus aufforderte, das Brevier als Sühnegebet für das Konzil zu verrichten, da kamen die ersten Journalisten angereist, um aus erster Quelle zu erfahren, was von dem bevorstehenden Konzil zu erwarten sei. Doch die Kurie schwieg wie die Steine der Leoninischen Mauern.
    Tags darauf, es war ein Donnerstag, gab Anne dem Portier die Adresse ›Via Baullari‹ und bat, er möge, falls sie bis zum späten Abend nicht zurück sei, die Polizei verständigen. Mit dem Taxi fuhr sie auf der Via Nazionale zur Piazza Venezia, wo sich der Verkehr in ohrenbetäubendem Hupkonzert staute, weiter zum Corso Vittorio Emanuele, von den Römern einfach Corso genannt, bis in Höhe des Palazzo Braschi. Dort, bedeutete der Fahrer, münde die Via Baullari in den Corso.
    Nachdem Anne den Corso überquert hatte – jede Überquerung einer Hauptstraße kommt in Rom einem Abenteuer gleich –, bog sie in die Via Baullari ein und entdeckte sogleich das alte, sechsstöckige Haus Nummer 33. Wen oder was sie hier zu finden hoffte, wußte Anne von Seydlitz selbst nicht genau; aber sie dachte nicht daran aufzugeben. Vielleicht hegte sie die Hoffnung, Kleiber, den falschen Kleiber, hier zu treffen, denn sie war sich noch immer nicht im klaren, welches Gefühl in ihr stärker war, die Wut über ihn oder die Zuneigung zu diesem Menschen. Jedenfalls kam es ihr nicht darauf an, das Pergament zurückzuerobern, Anne wollte nur Klarheit.
    Sie hätte nie geglaubt, daß sich mit dem Niederdrücken des Klingelknopfes an der Türe im dritten
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