Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes
Autoren: Kevin Wignall
Vom Netzwerk:
verlassen, als er ins Café trat und sich setzte. Zu Hause, in seiner perfekten Isolation, war er davon überzeugt gewesen, in die Welt zurückkehren zu können, aber wenn er dann einen konkreten Versuch unternahm, hatte er immer den Eindruck, keine nennenswerte Fortschritte zu machen.
    Was hatte sich denn seit seinem letzten erfolglosen Versuch, Madeleine umzustimmen, wirklich geändert? Er hatte der Welt wieder den Rücken gekehrt und sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Diesmal war er sich sicher, endgültig einen Schlussstrich unter sein altes Leben gezogen zu haben, aber das hatte er schließlich schon einmal gedacht. Wie konnte er sich also diesmal sicher sein? Wie konnte er wissen, dass er nicht wieder eine Anfrage bekommen würde, die er einfach nicht ablehnen konnte?
    Als er seinen zweiten Kaffee ausgetrunken hatte, war er drauf und dran, alles zu beenden – nicht nur seinen Besuch im Café, sondern das ganze Unterfangen. Er bezweifelte, dass er den Mut aufbrachte, sie anzusprechen – von einer Begegnung mit Madeleine ganz zu schweigen. Vielleicht war es ja besser, einfach zu warten, bis seine Tochter von sich aus den Wunsch äußerte, ihn kennenzulernen.
    Doch dann kam sie, diesmal alleine, und er war einmal mehr von ihr hingerissen. Ihn überfiel Panik, als er feststellte, dass er diesmal keine Zeitung zur Hand hatte. Er wollte schon aufstehen und sich eine des Cafés holen, mochte aber nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen.
    Der junge Kellner kam an ihren Tisch, half ihr aus dem Mantel und unterhielt sich mit ihr. Sie trug einen roten Pullover – eine Farbe, die ihr ebenso gut stand wie ihrer Mutter. Sie schien noch nichts bestellen zu wollen, und er war neugierig, wen sie wohl diesmal treffen würde.
    Zehn Minuten lang war er damit zufrieden, sie nur anzusehen. Er hätte sogar den ganzen Tag hier sitzen können. Insgeheim wünschte er sich, dass auch sie ihn bemerken würde, doch wann immer ihre Augen in seine Richtung wanderten, schien sie ihn nicht zu bemerken. Nach zehn Minuten schaute sie auf die Uhr und holte ein Handy aus der Manteltasche.
    Zunächst konnte er nicht hören, was sie sagte, bemerkte aber, dass sie zunehmend wütender wurde. Die letzten Worte der Unterhaltung sprach sie so laut aus, dass sie bis zu seinem Tisch drangen. Es ärgerte ihn, dass sie offensichtlich von jemandem versetzt worden war.
    Sie griff nach ihrem Mantel und stand auf. Instinktiv sprang auch er auf, realisierte dann aber, dass er – von seinem erhöhten Adrenalinspiegel abgesehen – eigentlich keinen triftigen Grund dazu hatte. Als er sich wieder setzen wollte, bemerkte er, dass sie ihn nun zum ersten Mal ansah. Wahrscheinlich war sie neugierig geworden, weil er auf ihre Bewegung so spontan reagiert hatte.
    Bei seinen Mordaufträgen hatte er die Erfahrung gemacht, dass es immer einen perfekten Moment gab. Wenn man diesen Moment verpasste, ging alles den Bach runter. Der Auftrag war vielleicht noch durchzuführen, aber die Lage wurde unweigerlich verfahren und unübersichtlich. Dies war zwar kein Mordauftrag, aber definitiv der richtige Moment.
    Er trat auf sie zu und probte in seinem Kopf die Sätze, die er ihr sagen wollte. Sie bewegte sich nicht, sondern stand einfach nur da und sah ihn neugierig und erwartungsvoll an.
    Er lächelte verlegen und sagte dann schmerzhaft langsam: »Excusez moi, Mademoiselle, vous ne me connaissez pas, mais, äh, je suis …« Es war, als müsse er ein Wort nach dem anderen herauswürgen.
    »Ist schon okay. Ich spreche Englisch.« Ihre Aussprache war akzentfrei. Sie schien seine Überraschung zu spüren, ohne den Grund dafür zu kennen. »Ich glaube, ich weiß, wer Sie sind.«
    »Wirklich?«
    Sie sah sich um, offenbar um sich zu vergewissern, dass ihre Begegnung kein Aufsehen erregt hatte.
    »Wollen wir uns setzen?« Er nickte, auch wenn es eigentlich keine freundliche Einladung war, sondern wohl eher ihrem Wunsch entsprach, die Begegnung diskret über die Bühne zu bringen. Als sie Platz genommen hatten, kam umgehend der Kellner an den Tisch. Sie bestellte etwas auf Französisch, bevor sie Lucas fragte: »Was möchten Sie trinken?«
    »Kaffee bitte, wenn möglich koffeinfrei.« Er hatte das Gefühl, dass sein Herz nach zwei Tassen Kaffee ohnehin schon am Rasen war.
    Sie gab die Bestellung auf und wandte sich dann wieder an ihn: »Sie sind mein Vater, stimmt’s?« Sie klang kühl und geschäftsmäßig – als ginge es um eine sachliche Feststellung. Der Tonfall in ihrer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher