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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett
Autoren: Anthologie
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Wolkenformationen zogen sich drohend zusammen. Als Al zum drittenmal vergeblich versuchte seine Schwester zu erreichen und sein Zorn die Dimensionen angenommen hatte, die den bedenklichen Gewitterfronten, die sich gebildet hatten, entsprach, hatte Gregor, in ungewohntem Anzug, in dem er fast bäurisch wirkte, Blanche abgeholt und mit linkischem Gebaren, das so gar nicht zu seiner federnden Sprungkraft und der wendigen Bewegungseleganz im Probensaal paßte, seinen Gast feierlich zu seinem Wohnhaus geführt, das im sommerlichen Blumenschmuck auf Blanche tatsächlich einen hochzeitlich-festlichen Eindruck machte. Er öffnete mit der linken Hand das Haustor (in der rechten hatte er den Koffer mit dem sperrigen Schirm) und hieß sie eintreten. (Hatte sie gehofft, er würde sie über die Schwelle tragen?) Er stellte das Gepäck ab, führte sie durch einen heimelig-dunklen Flur, öffnete die Tür des Wohnzimmers - und sie sah sich freundlich begrüßt von einer gutmütigen russischen Frau und drei pausbäckigen Kindern, die sie prompt jubelnd umringten. Ja, das war seine gute brave Frau, mit ihm den Wirren der bolschewistischen Revolution entkommen, wie er stolz erklärte. Die hoffnungsvolle Braut erstarrte zu Stein - eine Tochter Loths war nach der Katastrophe von Sodom und Gomorrha dagegen eine tanzende Mänade. Sie kam sich vor wie eine Braut, die zum Standesamt bestellt, aber nicht abgeholt worden war. Die Frau - sichtlich eine Russin aus dem Volke - war in ihrer Molligkeit wie eine Puppe in der Puppe; ein Spielzeug, wie sie es einmal in der Kinderzeit besessen hatte, und man konnte sich gut vorstellen, daß in ihrer Hülle noch viele Puppen wie Zwiebelschalen steckten, eine kleiner als die andere und sämtliche diesen Rangen gleich, die sie nun mit unverständlichem Geschrei bedrängten. Ihre ganze Mundpartie war steif geworden, als hätte sie Gips im Kiefer, der langsam härter und härter wurde und ihr Herz ... Ach, schweigen wir davon.
    Sie wurde freundlich an den Tisch gebeten, wo - natürlich -der Samowar dampfte und ein böses Zischen von sich gab, als wäre er eine Schlangengrube mit giftigen Vipern. Und es gab Honigkuchen, eine echte Spezialität Mütterchen Rußlands, die ihr im Halse stecken blieben ... und die lebemännischen Gardeoffiziere winkten höhnisch von weit - aber schon von sehr weit her ...
    Al hatte endlich seine Schwester erreicht und ihr mit überstürzten und wohl auch recht wirren Worten und Halbsätzen die dramatische Situation geschildert, wobei er alles durcheinanderbrachte, so daß Mericia immer wieder fragen mußte. Nein, sie könne ihm nicht helfen, wenn er so idiotisch gewesen sei, den hübschen Schmetterling fortfliegen zu lassen, den sie ihm doch in schwesterlicher Zuneigung zugedacht und ins Haus gebracht habe. Nein, da war nichts zu machen, sie wüßte nichts und könnte sich nicht denken ..., das heißt ... es sei denn ... ja, das wäre eine vage Möglichkeit... Er solle doch bei Madame Dershinska vorbeisehen, im Val Verzasca, in Mergoscia - das wäre der einzige Tip, den sie ihm geben könne, aber eine Garantie? Nein, die könne sie natürlich nicht übernehmen ... und im übrigen, setzte sie maliziös hinzu, möge er sich beeilen, denn der Abend böte zwar einem Jäger ein günstiges, aber zeitlich nur beschränktes »Büchsen«-licht, sagte noch anzüglich: »Also, Waidmanns Heil!« und hing ein.
    Al sprach seinem DKW, der immer mißmutiger und unfreundlicher wurde, zu wie einem kranken Gaul, kam schließlich im letzten müden Sonnenstrahl bei Madame in der »Académie« an, wurde unterrichtet, daß die charmante Tedesca wohl bei Monsieur Gregor sei, mit dem sie seit einiger Zeit sicher eine liaison d'âme, eine Seelenfreundschaft verbinde, ließ sich den Weg sagen, fragte sich durch und stand plötzlich, während der nahe Donner grollte, aber nicht so stark, wie sein empörtes Gemüt, vor einem unerwarteten patriarchalischen Familienbild, das ein naiver Bauernmaler hätte schaffen können: Blancheneige im Kreise eines offenbar intakten Familienzirkels bei Tee und Kuchen, aber mit der seltsamen Steifheit eines Votivbildes, merkwürdig sprachlos und unlebendig.
    Doch nahm er sich keine Zeit, detailliertere Betrachtungen anzustellen, sondern ergriff Blanche schroff beim Arm, zog sie vom Stuhl, gab ihr zwei Backpfeifen, die gar nicht wie falschgepolte Zärtlichkeiten aussahen, und riß sie aus dem Zimmer, während die griechisch-orthodoxe Familie mit offenen Mündern zurückblieb.
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