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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett
Autoren: Anthologie
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Wetterleuchten seltsame Reflexe um ihren Mund zucken. Dieser von Schminke verschmierte bräutliche Mund verrät tatsächlich die Spur eines rätselhaften winzig kleinen Lächelns, und in den großen blauen Augen spiegelt sich die ganze tolle Palette des Tessiner Himmels, wenn sich seine stille Natur jählings dramatisch entfesselt: der bewegte Farbenrausch von dräuenden schwarzen, schwefelgelben, rosigen und blutroten, smaragd- und türkisgrünen, topas- und achat-farbenen Kontrasten. Al zieht Blanche an sich, so jäh, daß sie die Beine spreizen muß, um nicht zu fallen, fällt aber doch, und es ist so schön auf dem Rücken zu liegen mit gespreizten Beinen, während die ersten vereinzelten Tropfen fallen und auf ihrem Gesicht versprühen - runde, feste Tropfen, die Vorhut eines plötzlich aufreißenden, sich endlos entladenden Himmels (gewöhnliche Regenschauer beginnen mit feinem Geriesel) - feste, kühle Tropfen also, die sich mit ihren heißen Tränen mischen ... Und während sie nur flüchtig daran denken kann, es ist mein bestes Kleid, das hier naß wird, und - der Regenschirm ist im Auto und, die Tante hat gesagt: »Nemm ihn nur, moi Kinnd, ma kan net wisse, wozu ma ihn brauche werd ... im Südde rechnet es aach« - (zugegeben recht sonderbare, aber einer realen Logik nicht entbehrende Besorgnisse), werden diese Gedankenfetzen fortgefegt durch die erste große Sturmbö des Gewitters, das hereinbricht wie nur Gewitter im Tessin hereinbrechen können. Es beginnt um sie zu krachen und zu böllern, zu leuchten und zu blitzen in unaufhörlicher Folge, und es ist so herrlich hier zu liegen - wie gekreuzigt - und ein Elementarereignis von solcher Größe so ausgebreitet und empfangsbereit zu erleben. Sie verspürt panische Angst und jubelt vor Freude und Lust auf, sie spürt nicht, daß Regenwände über sie hinweggehen wie wallende Schleier - Brautschleier? -, sie preßt sich dem Mann entgegen und mit seinem keuchenden Atem wird auch der ihre schneller und schneller, und als plötzlich ein Blitz ganz nah bei ihnen einschlägt und eine Zypresse zersplittert, da schreit sie nur ganz kurz auf, und der kleine Schrei, der sie zur Frau macht, ist kaum zu hören, weil der Donnerschlag unmittelbar folgt und Regen und Gefühl sie überschwemmt.
    Das Opfer war dargebracht - und sie empfand, daß es gut war.
    Unsere Geschichte ist am Schluß angelangt. Da aber die Menschen immer wissen wollen, wie es nach dem Ende weitergeht, so seien hier noch einige Zeilen angefügt.
    Es begann mit einem formidablen Schnupfen unseres Paares, den sie sich gegenseitig kurieren mußten. Sie blieb bei ihm, solange ihre Ferien dauerten. Dann trennten sie sich, er fuhr nach Berlin, sie ins Engagement. Sie kam zu ihm zu Besuch, und er kam zu den Tanzabenden ihres Theaters, besonders wenn sie erst mit kleinen, dann mit größeren Soloaufgaben betraut worden war. Sie stritten sich und versöhnten sich, sie gingen eigene Wege, machten andere, neue Erfahrungen und kamen wieder zusammen. Als Deutschland erwachte zu einer zwölfjährigen Nacht, war er in England und holte sie über den Kanal. Sie wollte nicht tanzen und im gleichen Schritt und Tritt marschieren. Dann zogen sie nach Amerika, und eines Tages heirateten sie. Schneewittchen hatte ihren Prinzen.
    Er veröffentlichte sein Buch »Fug und Unfug des Tanzes«, das gut besprochen, aber wenig gelesen wurde, und schrieb an einigen erfolgreichen Filmen mit, die viel gesehen, aber schlecht kritisiert wurden. Blanche arbeitete mit Martha Graham und Agnes de Mille und vieles, was an deren Schöpfungen als Einflüsse des »German Dance« galten, stammte von ihr. Als sich eine kleine Christine einstellte, waren die ersten drei Buchstaben des Alphabetes komplett, und sie nannten sich das große ABC.
    Nach dem Krieg kamen sie nach Deutschland zurück. Die Tante war in der berüchtigten Bombennacht als Opfer einer überraschenden alliierten Bomberstrategie mit Flächenwürfen völlig neuen Dessins ums Leben gekommen. »Unner inserm Großherzog hätt's des net gewe«, sollen ihre letzten Worte gewesen sein. Darmstadt und das Theater waren zerstört. Aber die Vernichtung, so grauenhaft sie war, erschreckte sie weniger als das nackte, hektische Erfolgs- und Leistungsstreben des westdeutschen Rumpfstaates. Sie gingen, einer sentimentalen Regung folgend, nach Ascona, das sie kaum mehr wiedererkannten, so sehr war der Bauboom der ersten Angriffswellen des Massentourismus über das Fischerdorf hinweggerast. Ihr
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