Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
Berge, wo ich Don Juan aufsuchen wollte. Frühmorgens, auf dem Weg aus der Stadt, hatte ich die Eingebung, über den großen Platz zu fahren, und dort fand ich ihn auf seiner Lieblingsbank sitzen, als hätte er auf mich gewartet.
    Ich setzte mich zu ihm. Er erzählte mir, er halte sich in Geschäften in dieser Stadt auf und habe sich in einer Pension am Ort eingemietet, wo auch ich willkommen wäre, denn er müsse noch zwei Tage in der Stadt bleiben. Wir sprachen noch eine Weile über meine Aktivitäten und Probleme in der akademischen Welt. Wie es seine Gewohnheit war, schlug er mich plötzlich auf den Rücken, gerade als ich es am wenigsten erwartete, und der Schlag versetzte mich in einen Zustand gesteigerter Bewußtheit. Lange blieben wir schweigend sitzen. Ich wartete gespannt darauf, daß er zu reden anfange, doch als er es tat, überraschte er mich.
    »Jahrhunderte bevor die Spanier nach Mexiko kamen«, sagte er, »gab es außerordentliche Tolteken-Seher, Männer, die unvorstellbarer Taten fähig waren. Sie waren das letzte Glied in einer Kette des Wissens, die sich durch die Jahrtausende zog. Die toltekischen Seher waren ungewöhnliche Menschen - mächtige Zauberer, düstere, getriebene Männer, Mysterien ergründend und mit Geheimnissen bekannt, die sie nutzten, um die Menschen in ihren Bann zu schlagen und zu plagen, indem sie deren Bewußtsein auf irgend etwas fixierten, wie immer es ihnen gefiel.«
    Er unterbrach sich und sah mich eindringlich an. Ich spürte, er wartete darauf, daß ich ihm eine Frage stelle, aber ich wußte nicht, was ich fragen sollte.
    »Ich muß eine wichtige Tatsache hervorheben«, fuhr er fort, »nämlich, daß diese Zauberer das Bewußtsein ihrer Opfer fixieren konnten. Das hast du gar nicht mitbekommen. Als ich es erwähnte, bedeutete es dir nichts. Das ist nicht weiter verwunderlich. Eine der Tatsachen, die wir am schwersten akzeptieren, ist, daß das Bewußtsein manipuliert werden kann.« Ich war verwirrt. Ich wußte, daß er mich zu irgend etwas hinführen wollte. Ich empfand eine vertraute Bangigkeit – dasselbe Gefühl, das ich immer hatte, wenn er mit einem neuen Kapitel seiner Lehren begann.
    Ich erzählte ihm, wie mir zumute war. Er lächelte unbestimmt. Meistens, wenn er lächelte, strahlte er freudig. Diesmal war er eindeutig befangen. Eine Weile schien es, als überlegte er, ob er weitersprechen solle. Er starrte mich wieder eindringlich an und ließ seinen Blick langsam über die volle Länge meines Körpers gleiten. Dann, offenbar befriedigt, nickte er und sagte, ich sei bereit für eine letzte Übung, etwas, das alle Krieger hinter sich bringen müßten, bevor sie sich als fähig betrachten dürften, für sich allein zu bestehen. Ich war verwirrter denn je. »Wir werden über die Bewußtheit sprechen«, fuhr er fort. »Die toltekischen Seher verstanden sich auf die Kunst des Umgangs mit dem Bewußtsein. Tatsächlich waren sie hohe Meister dieser Kunst. Wenn ich sage, sie verstanden sich darauf, das Bewußtsein ihrer Opfer zu fixieren, so meine ich damit, daß ihr Geheimwissen und ihre geheimen Praktiken es ihnen erlaubten, das Geheimnis der Bewußtheit aufzudecken. Nicht wenige ihrer Praktiken haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten, aber zum Glück in abgewandelter Form. Ich sage, zum Glück, denn dieses Unterfangen hat die Tolteken-Seher, wie ich gleich erklären werde, nicht zur Freiheit geführt, sondern in den Untergang.« »Kennst du selbst diese Praktiken?« fragte ich. »Na, gewiß«, antwortete er. »Es ist uns gar nicht möglich, diese Techniken nicht zu kennen, aber das heißt nicht, daß wir selbst sie praktizieren. Wir haben eine andere Auffassung. Wir gehören einem neuen Zyklus an.«
    »Aber du hältst dich doch nicht für einen Zauberer, Don Juan, nicht wahr?« fragte ich.
    »Nein, das nicht«, sagte er. »Ich bin ein Krieger, der sieht. Tatsächlich sind wir allesamt neue Seher - los nuevos videntes. Die alten Seher, das waren die Zauberer.«
    »Für den Durchschnittsmenschen«, fuhr er fort, »ist die Zauberei ein negatives Geschäft, aber gleichwohl ist sie faszinierend. Das ist auch der Grund, warum ich dich in deinem normalen Bewußtseinszustand ermunterte, uns für Zauberer zu halten. Das kann ratsam sein. Es hilft, Interesse zu wecken. Doch ein Zauberer zu sein, das würde für uns bedeuten, in eine Sackgasse zu rennen.«
    Ich wollte wissen, was er damit meine, aber er war nicht bereit, darüber zu sprechen. Er sagte, er werde später
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher