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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen
Autoren: Stephen Dobyns
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er sie heute Nacht mitgenommen hatte. Hastig gepackt wahrscheinlich.
    An der Pistole war nichts Hübsches, sie war nur ein solider Klotz aus verkratztem und verschrammtem schwarzem Metall mit schwarzen Plastikgriffschalen. Sie war funktional und nüchtern, ein Rausschmeißer, kein Tänzer. Er schaute sie an und entschied, dass er sie nicht neben dem Foto seiner Töchter liegen haben wollte, also legte er sie auf den Nachttisch auf der anderen Seite des Bettes. Die Pistole kam schließlich aus einer Welt, mit der die Zwillinge nichts zu tun haben sollten, wie er fand.
    Wenn Sie Hartmann für einen prinzipiell anständigen Menschen halten, haben Sie wahrscheinlich recht, und möglicherweise führte diese Eigenschaft ihn auf eine Bahn, die andere eher gemieden hätten. Zu oft erwies er Leuten, die es nicht verdienten, Gefälligkeiten und Wohltaten. Als er jetzt das Foto der Zwillinge anschaute, während er die Decke unters Kinn zog und sich anschickte, das Licht auszuknipsen, spürte er, wie es ihm die Kehle zusammenschnürte. Sie waren so verdammt niedlich!
    Höchstwahrscheinlich waren Sie schon in einer Stadt wie Brewster. Sie ist nicht arm, dank den Steuern, die von den Sommergästen gezahlt werden. Die Schulen sind gut, und das neue Polizeirevier in der Water Street sieht größer und heller aus als nötig, denn die Cops haben kaum mehr zu tun, als die verrammelten Sommerhäuser im Auge zu behalten, auf der Route 1 betrunkene Autofahrer anzuhalten und bei gelegentlichen Fällen von häuslicher Gewalt einzuschreiten. Es kommt vor, dass eine der Bars – speziell Tony’s – am Wochenende eine gute Schlägerei zu bieten hat. Und sonst? In einer alten Villa in der Water Street befindet sich ein Bestattungsinstitut. Es gibt die übliche Handvoll Ärzte, Anwälte und Dentisten und natürlich das Krankenhaus, das zwar klein ist, aber gut läuft.
    Ach ja, im Zentrum, in den oberen drei Geschossen des viergeschossigen Metcalf Buildings – Brewsters höchstes Gebäude – hat »The You Within You – Das Du in Dir« die ehemaligen Ausstellungsräume der Möbelfirma Bates Home Furniture bezogen. Dabei handelt es sich um ein ganzheitlich-alternatives Gesundheitsunternehmen. Neben Yoga-Kursen – Kundalini, Vinyasa, Svarupa und beheiztem Baptiste-Power-Yoga – gibt es hier Kurse in Tai-Chi und Meditation, Chant- und Gong-Meditation, Kristallkugel-Meditation und sogar Bauchtanz. Auch Reiki, Reflexzonentherapie, Polarity-Therapie, Magnettherapie, Massagen und so weiter werden angeboten. »Placebo-Haus« nennt es Dr. Balfour im Krankenhaus. »You-You« sagen alle anderen. Als alternatives Gesundheitszentrum besteht es aus einem Labyrinth großer und kleiner Räume mit diversen Lehrern, Jüngern, Gurus, Kundigen, Masseuren, Masseurinnen und Spezialisten für das Aerobische und das Anaerobische. Man kann einen Yoga-Platz mieten, und den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch vibrieren die alten Ausstellungsräume von Leuten, die hopsen und springen, stretchen und kämpferische Posen einnehmen. Es wird viel über Energy Flow und Qi gesprochen, und man hört Wörter wie Moxibustion, Kampo, Bagua und Zang-Fu-Organe. Das ist nicht spöttisch gemeint. Das You-You ist Brewsters größtes Business und wird demnächst ein Ladengeschäft eröffnen. Dort bekommt man dann Lotionen, Tränke und Pillen und einen ganzen Katalog von Dingen, die man anziehen, essen, riechen oder sich auf den Körper reiben kann.
    Zwei Drittel der Einwohner sind in Brewster geboren und zur Schule gegangen, sie arbeiten hier und werden wahrscheinlich hier sterben – »Lebenslängliche« könnte man sie nennen. Sie haben nicht unbedingt die Nase gestrichen voll voneinander, aber jeder kennt die Geheimnisse des Nachbarn oder glaubt sie zumindest zu kennen, und das Tratschen haben sie zu einer hohen Kunst entwickelt. Wenn man zwei von ihnen im Supermarkt belauschen wollte, würde es sich ungefähr so anhören: Kundin 1 : Sonny hat jetzt wieder Aufwind. Kundin: Tammy in Warwick? Kundin 1 : Das Baby hat einen Virus. Kundin 2 : Kann man es ihm verdenken, ich meine, wenn man bedenkt? Kundin 1 : Pop hat beim Frühstück das Gleiche gesagt. Kundin 2 : Auf Bewährung kann man nicht unbegrenzt »Der Wolf ist da!« schreien. Kundin 1 : Hat seinen eigenen Briefkasten umgefahren.
    Füllt man die Leerstellen aus, hat man einen Roman. Hält man es kurz, ist es ein Stück von Beckett.
    Was das letzte Drittel betrifft – manche sind in Rente, manche arbeiten hier, andere
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