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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen
Autoren: Stephen Dobyns
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pendeln, manche gehen angeln, manchen gefällt einfach das Wasser, manche verstecken sich, manche brauchen eine Luftveränderung, und manche sind damit beschäftigt, sich selbst zu entdecken. All das gilt zu einem großen Teil auch für die Lebenslänglichen. Die meisten dürften Ihnen ganz normal erscheinen, einfache, alltägliche Leute, aber regelmäßig kommen Huren und Strichjungen aus Providence herunter. Eine der Huren sagt: »Als Kind bin ich in Straßen wie denen hier auf und ab gegangen und hab mich gefragt, was wohl in den Häusern abgeht. Seit ich in der Branche arbeite, weiß ich es.«
    Brewster hat ein halbes Dutzend Selbsthilfegruppen. Anonyme Alkoholiker, Anonyme Drogenabhängige, Anonyme Esssüchtige – und sie alle haben ihre Geschichten. Eine Gruppe für Anonyme Spielsüchtige wurde gegründet, nachdem das Foxwoods eröffnet wurde. Das Casino ist eine halbstündige Autofahrt entfernt, und ein paar Leute aus der Stadt arbeiten dort. Man muss sich die gesellschaftlichen Auswirkungen im Umkreis von fünfzig Meilen um ein Spielcasino einmal ansehen, das sprunghafte Ansteigen von Diebstählen, Ehescheidungen, Selbstmorden, Verkehrsunfällen, Insolvenzen und so weiter. Bei den Anonymen Alkoholikern findet man viele Köche, bei den Spielern viele Rechtsanwälte, und bei den Drogenabhängigen sind Ärzte und Krankenschwestern. Jeder Beruf hat seine eigene Art der Selbstmedikation. R. James Huntington war ein Anwalt in Brewster, der Samstagabends zu den Treffen der Anonymen Spieler im Keller von St. John kam. Das Spielen gewöhnte er sich ab, doch das half nichts. Eines Abends im September ging er hinaus, und nach nicht einmal drei Schritten zog er eine Pistole aus der Tasche und pustete sich das Hirn weg. Father Pete musste vor der Sonntagsmesse das Buntglasfenster an der Nordseite des Kirchenschiffs mit dem Schlauch abspritzen, und ein paar klebrige Stückchen entgingen ihm trotzdem. Huntington hatte drei Treuhandfonds seiner Klienten ausgeräumt. Er spielte nicht mehr, aber er hatte eine Million Dollar Schulden.
    Diese Zwölf-Schritte-Programme bei den Anonymen Alkoholikern und anderswo können einem eine Kostprobe von dem geben, was in diesen neuenglischen Kleinstädten im »Winterschlaf« so vorgeht. Schwester Rabiata, eine Domina aus Narragansett mit Kunden in Brewster, verbringt nach einem arbeitsreichen Abend in Brewster zwei Stunden bei ihrer Physiotherapeutin und lässt ihr Karpaltunnelsyndrom behandeln. Und sie schaut einen Kunden nicht mal an, wenn er nicht auf dem College gewesen ist.
    Aber morgens um halb drei liegt sogar Schwester Rabiata zu Hause im Bett. Katzen streifen umher, auch Kojoten und ein paar Marder. Eulen warten zwischen den Ästen, und in manchen Nächten hört man ein Karnickel schreien. Wir schweben über der Stadt und sehen Straße um Straße mit dunklen Häusern. Große viktorianische Villen in der Oak, der Spruce und der Water Street, kleinere Häuser dort, wo die Mühle gestanden hat, und wenn wir uns dem Stadtrand nähern, finden wir Ranchbungalows und Cape-Cod-Häuser. Trotz der nächtlichen Stunde sieht man hier und da hinter einem Fenster das Flackern eines Fernsehers, oder – seltsam – jemand liest am Kamin ein Buch. In einer Stadt mit siebentausend Einwohnern ist die Hälfte sexuell aktiv, und ein paar sind – einzeln, zu zweit oder sogar zu dritt – auch um diese Zeit damit beschäftigt. Die Paare halten sich meist an feste Zeiten, doch für Singles wie Schwester Spandex heißt es: Nimm, was du kriegen kannst. Was andere spätnächtliche Ablenkungen angeht – Kreuzworträtsel, Kartenspiele, Puzzles, Brettspiele, Solitaire am Computer –, sind vielleicht fünfzig Schlaflose immer noch dabei. Schauen wir durch das Küchenfenster dieses zweistöckigen Hauses in der Mason Street. Ginger und Howard Phelps spielen die fünftausendste Partie Gin Rommée. Ginger hat 2600 Partien gewonnen, Howard 2400 , aber Howard hat das Gefühl, er holt auf. Warme Milch mit Honig und Gingers Pecan-Cranberry-Brot – in manchen Nächten brauchen sie drei Stunden, um einzuschlafen.
    Ein paar sind noch auf, weil sie lange arbeiten. Larry Rodman ist erst vor zehn Minuten in sein kleines, weißes, holzverkleidetes Haus in der Millman Street zurückgekommen, und in diesem Augenblick nimmt er eine kalte Pizza aus dem Kühlschrank. Larry ist fünfundvierzig und wiegt immer noch das Gleiche wie damals nach der Brewster Highschool: achtundsechzig Kilo. Er könnte den ganzen Tag Pizza mit
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