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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen
Autoren: Stephen Dobyns
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gelaufen. Nicht der kleine Petrocelli, mit dem war alles okay, er war eingewickelt wie ein Indianerbaby. Es war der andere Junge, der Summers-Junge, der sich irgendwie ausgewickelt hatte. Seine kleine gelbe Decke mit den Entchen und Hühnchen und Häschen war auf ihn geraten, und er strampelte und zappelte, denn anscheinend erstickte er, starb vielleicht schon und wand sich noch, um sich zu befreien.
    Schwester Spandex hatte keine Gelegenheit, sich zu sagen, so etwas Merkwürdiges hätte sie noch nie gesehen, weil sie inzwischen an dem Bettchen angekommen war und die Decke wegriss, aber es war nicht das Summers-Baby, es war überhaupt kein Baby. Es war eine Schlange, eine Riesenschlange mit roten und gelben Streifen, doch die Farben sah sie kaum, als die Schlange sich zu ihr aufrichtete und sie anscheinend packen und zerquetschen und gefügig machen wollte, weshalb Schwester Spandex zurücktaumelte und erst ein, dann noch ein leeres Bettchen zur Seite stieß und dabei schrill und schrecklich schrie, wie sie noch nie geschrien hatte, als wäre es der Schrei einer anderen, der aus dem Mund einer anderen kam, aber sie schrie immer weiter, während die Schlange sich krümmte und wand, schrie weiter, als wolle sie Glas zersplittern lassen, als dumpfe, quietschende Schritte durch den Korridor kamen, schrie weiter, als andere Schwestern und Pfleger und Ärzte und sogar Patientinnen ins Säuglingszimmer stürzten, schrie weiter, bis jemand sie packte und ihr eine ordentliche Ohrfeige verpasste.
    Jetzt ziehen wir uns wie mit einer Luftbildkamera von dem Krankenhaus zurück, das Morgan Memorial Hospital heißt und in der Stadt Brewster steht. Der Himmel ist beinahe klar, und der Dreiviertelmond zeigt uns die Stadt in einem milchigen Licht. Ein steifer Wind aus Nordwest füllt die wenigen Wolken mit Energie, reißt das Herbstlaub von den Bäumen und lässt es wirbeln. Die Temperatur ist bereits auf den Gefrierpunkt gefallen, und wer seine Tomaten nicht abgedeckt hat, wird sie verlieren. Aber ist das nicht oft eine Erleichterung? Wenn der Garten bis auf Mangold und Winterkürbis hinüber ist, hat man eine Sache weniger, um die man sich kümmern muss.
    Beim Aufsteigen über dem buckligen Dach des Krankenhauses mit seinen Kompressoren, den Heiz- und Kühlaggregaten und dem Aufzug sehen wir die beiden Flügel, die Nebengebäude, die Parkplätze und die zweigeschossige Verwaltung mit Labors und Arztbüros. Ein Rettungswagen steht mit laufendem Motor vor dem Eingang der Notaufnahme, die Heizung ist aufgedreht, und zwei Männer schlafen auf den Vordersitzen. Der Fahrer, Seymour Hodges, wird unruhig, als seine Albträume wieder anfangen. Gleich wird er wieder rufen und Warnungen hinausschreien, und dann wird sein Sanitäter, Jimmy Mooney, der das alles schon gehört hat und keine Geduld mehr dafür aufbringt, ihn hart auf die Brust schlagen und brüllen: »Hör auf mit dem Scheiß, Seymour!« Seymour wird grunzend protestieren und wieder in Schweigen versinken.
    Im Mondlicht streichen die Schatten der Ahornbäume, die als Ersatz für die absterbenden Ulmen gepflanzt worden sind, über der Karosserie des Rettungswagens hin und her wie räuberische Spinnweben. Das wehende Laub sieht aus wie flatternde Fledermäuse, und dunkle Umrisse wieseln vorüber wie Kobolde. Jedenfalls findet Jimmy Mooney, dass es so aussieht, und für ihn ist Halloween immer noch ein bedeutsamer Feiertag. Diese gespenstischen Ahornbäume säumen die Cottage Street, an der das Krankenhaus liegt, nicht ganz am Stadtrand, aber dort, wo vor siebzig Jahren der Stadtrand war.
    Wir steigen höher und sehen, wie die Stadt sich entlang der Water Street – offiziell Route 1 A – weiter ausbreitet und an den fünf Meilen der Straße zwischen Route 1 und Hannaquit, das an der Küste liegt, eine Wölbung bekommt: wie eine Anakonda mit einem Schwein im Bauch. Noch höher, und wir sehen den Schatten von Block Island fünf Meilen vor der Küste, während im Süden die Spitze von Montauk auf Long Island liegt. Im Norden leuchten die Lichter von Providence, doch im Nordwesten, in Richtung West Kingston und Hope Valley, liegen große Blöcke aus Dunkelheit: Burlingame State Park, der Great Swamp, Trustom Pond National Wildlife Refuge, die Narragansett Indian Reservation, Watchaug Pond und andere Seen. Durch Burlingame oder den Great Swamp kann man meilenweit wandern, ohne eine Menschenseele zu sehen – das heißt, wenn man nicht im Morast versinkt, bis nichts mehr da ist bis auf
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