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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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I ch bringe ihn um.
    Das ist es, was ich tun werde.
    Von vornherein.
    Gleich auf der ersten Seite.
    Ohne ihn zu kennen; bevor ich ihn kennenlerne.
    Lieber ein sauberer Mord als ihn kennenlernen. Anonym sozusagen, das erleichtert die Tat. Ich gebe zu, daß mir nicht wohl ist. Mein erster Mord darf mir eine Beunruhigung sein, niemandem, denke ich, geht so ein erster Mord leicht von der Hand.
    Die Notwendigkeit der Tat wird dadurch nicht in Frage gestellt. Ein Blick auf Viszman hat genügt, um zu wissen: er oder ich. Also ich.
    Bleibt für den Anfang die Frage der Waffen.
    Wählen Sie, Viszman.
    Viszman weiß nicht, daß er Viszman heißt, und ich weiß nicht, ob er Viszman heißt. Ich will es auch gar nicht wissen. Um keinen Preis will ich ihn kennenlernen. Viszman sitzt schräg gegenüber mit dem Rücken in Fahrtrichtung und sieht durch die Tür hinaus auf den Gang, während ich Fensterplatz sitze. Dazwischen zwei Schweizerinnen, die in etwa zwei Stunden umsteigen werden und weiterfahren nach Bern.
    Ich könnte sie im Zug lassen bis Dijon und dann Anschluß nach Basel. Basel liegt auch in der Schweiz, und die Schweizerinnen in unserem Abteil sprechen schweizerdeutsch und löffeln Bananenjoghurt, während sie ihre heute morgen beinah verpaßte Abfahrt mitsamt dem reizenden Hotelgast erzählen, der sie mit seinem Auto zum Zug gebracht hat in allerletzter Sekunde, gerade noch knapp geschafft. Ihr Proviant reicht bis Genf, in ihrer gemeinsamen Reiseplastiktüte sehe ich noch zwei Mandarinen und zwei Äpfel zwischen Mandarinenschalen und leeren Yoghurtbechern, mehr kriegen sie nicht, zwei Dosen Wasser rollen ausgetrunken auf dem Boden des Abteils herum, und im Zug gibt es keinen Speisewagen, nicht einmal eine Minibar.
    Verzeihen Sie. Steigen Sie in Lyon aus und fahren dann weiter nach Genf. Von Genf über Lausanne. In Lausanne haben Sie Anschluß nach Bern.
    Ich will meinen Mord.
    Ob Viszman Deutsch versteht, sehe ich ihm nicht an. Überhaupt sehe ich ihn möglichst nicht noch einmal an. Die Schweizerinnen sind mit ihrer Abfahrt heute früh beschäftigt, und ich rede sowieso nicht mit ihm, weil ich ihn kurz nach Lyon ermorden werde.
    Ich stelle es mir schwerer vor, wenn ich zuvor mit ihm spreche oder ihm noch einmal in die Augen sehe.
    Da er vermutlich nicht Viszman heißt – es gibt den Zufall, aber er gehört nicht in Bücher, er hat gefälligst im Leben zu bleiben –, antwortet er nicht auf mein: Wählen Sie, Viszman. Vielleicht hat er es auch nicht verstanden, ein Problem der Sprache, ein Problem der Lautstärke sicherlich, weil ich vor den Schweizerinnen, die später als Zeuginnen aussagen könnten – die Ehrlichkeit der Schweizer besonders in Fragen der Wahrheitsfindung bei Mord ist bekannt –, nicht in Abteillautstärke fragen mochte.
    Ich will sie nicht in die Sache verwickeln.
    Noch könnte ich sie aussteigen lassen. Auf den ersten Seiten tun meine Leute, was ich ihnen sage. Wenn ich sie in eine Bar schicke und dort weißen Whisky trinken lasse, gehen sie widerstandslos hinein und trinken den weißen Whisky, anstatt Kaffee zu bestellen oder Bier oder Limonade. Sie fragen nicht einmal, warum ausgerechnet sie in ausgerechnet dieser Bar ausgerechnet weißen Whisky trinken müssen, alle anderen Gäste trinken Bier, der Kellner versteht nicht, was sie verlangen, weil es alle möglichen Sorten Whisky gibt, aber von weißem Whisky hat er noch nie gehört, meine Leute würden auch viel lieber Bier trinken, als sich erst mit dem Kellner und sodann mit dem Wirt über die Existenz weißen Whiskys zu unterhalten, die dieser bei aller Höflichkeit rundheraus wenn nicht abstreitet, so doch lebhaft bezweifelt. Auf den ersten Seiten bringe ich sogar den Wirt dazu, seine Frau sich an eine Flasche weißen Whisky erinnern zu lassen, die irgendwo endgelagert im Keller herumliegt, Geschenk eines Gastes nach einer Irlandreise, und schließlich sitzen sie brav in der Bar und trinken meinen überteuerten weißen Whisky, weil ich es will. Leider geht das nur auf den ersten Seiten. Nach und nach werden sie renitent.
    Trink ich nicht, sagen sie. Mach ich nicht. Sag ich nicht. Mit der setze ich mich nicht an einen Tisch.
    Weil ich mir schon denken kann, was die Schweizerinnen in ihrer sprichwörtlichen Ehrlichkeit vor Gericht sagen werden, immerhin keine beliebige Bagatelle, sondern der Mordprozeß Viszman, werde ich nichts, aber auch gar nichts in Abteillautstärke sagen, solange wir nicht in Lyon sind.
    Wir sind noch nicht einmal
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