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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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südtiroler Restaurators samt dessen Geburtsstadt Bozen, eine schöne Stadt, Bozen, gelegentliche gemeinsame Reisen nach Bozen werden als Elternbesuche getarnt.
    In Wirklichkeit macht sich nur die Organistin etwas aus Orgelmusik. Buxtehude besonders.
    Weg mit den Schweizerinnen ans Matterhorn.
    Wenn ich Viszman gleich auf der ersten Seite ermorden will, muß es noch vor Lyon sein. Irgendwo zwischen Avignon und Valence, links die über die Ufer gelaufene Rhône, in Pont-Saint-Esprit ist die Brücke gesperrt, der Autoverkehr wird über Orange umgeleitet, wegen des Hochwassers habe ich schließlich den Zug genommen; Qualm auf der anderen Seite des Flusses, bunt bemalte Electricité de France, da ungefähr muß es passieren, spätestens zwischen Pierrelatte und Montélimar.
    Und vor allem: gleich auf der ersten Seite. Ohne ihn kennengelernt zu haben, ohne ihn noch mal anzusehen, ohne mit ihm zu sprechen.
    Also: ich im Compartiment 23 , Place 96 seit Montpellier. Zeitung gelesen, in Marie Claire geblättert. Avignon. Der Zug hat drei Minuten Aufenthalt. Auf dem gegenüberliegenden Gleis laufen Mäuse. C’est libre. Viszman hat seinen Mantel ausgezogen. Die drei Minuten sind um.
    Den Schweizerinnen weit weg am Matterhorn habe ich zur Belohnung ihren Urlaub um eine Woche verlängert; sie müßten gerade bei sonnigstem Wetter im Skilift hängen, wenn sie nicht wieder die Nacht durchgemacht haben, in dem Falle wären sie meiner Berechnung nach jetzt beim Frühstücksbuffet und müßten das vollendete Vollkornmüsli mit Weintrauben, Ananas, Nüssen und dicker Sahne loben, während sie unauffällig nach einem konstanzer Waffenhändler und einem einheimischen Skilehrer Ausschau halten, der versprochen hatte, kurz vor dem Kurs zum Kaffee herüberzukommen und sie dann zum Lift zu begleiten, wo die andern Kursteilnehmer schon warten und demnächst in ihren bunten, kniehohen Skistiefeln kalte Füße haben und rote Nasen trotz blauesten Gletscherhimmels, weil ein Skilehrer sich mit einer Brünetten beim Morgenkaffee verplaudert. Was der Skilehrer an unserer grundbiederen Brünetten aus Bern findet, die zudem mit dem Müsli vorsichtig sein sollte wegen der dicken Sahne – der Süßstoff im Kaffee ist die reine Augenwischerei, wenn sie sich jetzt noch einen zweiten Müsliteller genehmigt –, was also der Skilehrer an ihr findet, ist unergründlich und sein Geheimnis.
    Trois minutes d’arrêt. Der Zug fährt zehn nach zehn weiter. Die drei Minuten sind um. Wieso fahren wir nicht? Auf dem Nachbargleis rauscht ein Zug durch. Hoffentlich haben die Mäuse ihn beizeiten gehört und sich in Sicherheit bringen können. Zehn Uhr elf. Der Zug fährt aus der Halle, die Stadtmauer leuchtet sandfarben in der Herbstsonne, das Wetter wird sich erst in Valence zusammenziehen, die Platanen glänzen, die Abteiltür geht auf. Rot im Gesicht, fast prustend, gerade noch knapp geschafft; wenn ihnen der Schaffner nicht liebenswürdigerweise die vorletzte Tür aufgehalten, beim Einsteigen Mesdames, allez vite, allez hopp, gesagt hätte mit der Ironie, mit der Schaffner abgehetzte, ungeschickt ihre Koffer hievende rotgesichtige Touristinnen extra galant behandeln, hätten zwei Schweizerinnen in sportlichen Wanderjacken trotz eines freundlichen Hotelgastes den Zug verpaßt.
    Nichts zu machen. Sie sind drin. Sie haben sogar reserviert.
    Ich werde Viszman kurz nach Lyon ermorden. Jedenfalls vor Mâcon.
    Völlig unklar ist, warum meine Schweizerinnen nach ihrem Wanderurlaub in Avignon zusteigen, es würde mich wundern, wenn sie von Toulouse nicht direkt hätten fahren können, zudem waren sie erst im vorletzten Sommer in Avignon, und von daher ist ihnen die Stadt noch in unangenehmster Erinnerung: zwei befreundete Schweizerfamilien mit zusammen fünf Kindern, die mißmutig den heißen Boulevard entlanglatschen und maulen und nicht einsehen, warum man heute nicht am Meer bleibt, sondern bei dieser Scheißhitze in diese Scheißstadt fährt mit diesem Scheißpapstbau, und nicht einmal ein Segeljachthafen, die Stadt ist wegen des Sommertheaters überfüllt und glüht schon um kurz nach halb elf, vor den Restaurants stehen Kellner und flüstern vielsprachig ihr Menü, jedes Haus ein Bordell, das Kellnerflüstern klingt nach Nötigung, wenn nicht sogar richtig gefährlich; also Avignon hat ihnen nicht gefallen im vorletzten Sommer, ein rundherum scheußlicher Tag, und dann ist dem Mann der Brünetten natürlich die Brieftasche aus der Hose geklaut worden, hinten
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