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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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verständlicherweise selbst seine Geduld irgendwann einmal endet, seine Geduld und die Gelder auch, die er bislang unverdrossen in mein sogenanntes Handwerk investiert hat, das indessen, wie er mir traurig nachweisen wird, ein Zuschußbetrieb ist seit Jahren, und wenn ich ihm übermorgen mit Schriftstellerehre und Schriftstelleraufgaben komme, wird er auf der Stelle diese Geduld verlieren und mir, nicht ohne betrübt zu sein über diese längst fällige Maßnahme, mein fehlendes Handwerk endgültig legen.
    Die Aufgabe der brünetten, demnächst mahagonigetönten Schweizerin morgen früh, so viel weiß ich immerhin, während sie es noch nicht einmal ahnt, wird darin bestehen, mit ihrer Zweitjüngsten zum Zahnarzt zu gehen, weil die Großmutter wieder Sahnebonbons als Erziehungsmittel eingesetzt und der Kleinen somit im klassischen Verfahren eine Plombe gezogen hat. Sie weiß nur: daß es allerhöchste Zeit ist, nach Hause zu kommen, weil ihre Mutter schon seit vergangenem Freitag am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht und ihre drei Enkel insgeheim für schwererziehbar erklärt hat. Der Wanderurlaub ist abgeschlossen und in eine Urlaubsgeschichte verwandelt, jetzt warten in Bern die Kinder und der Zahnarzt auf sie, was man von einem Obst- und Gemüsegroßhändler nicht sagen kann, der noch nicht weiß, daß ihm zwei Wochen lang sein Prokurist die Buchhaltung durcheinandergebracht hat; die Praktikantin aus der Auftragsabteilung, die zur Aushilfe in der Zentrale sitzt, hat die vielen blinkenden Knöpfe an der Telefonanlage von Anfang an nicht kapiert, den Ärger mit der Transportfirma, die dauernd nicht durchgekommen ist, wird seine Frau ausbaden, sobald sie wieder am Telefon sitzt; allerdings findet er, was die Schwiegermutter da jeden Tag auf den Tisch bringt, ist am Rande der Zumutbarkeit, mit den Kindern wird sie auch nicht fertig, und die Kleine hat völlig recht, wenn sie sich trotz der Sahnebonbons weigert, mit der durchgedrehten Omi zum Zahnarzt zu gehen, die hysterische Omi soll wieder nach Neuchâtel und dort den Opi mit ihren Kochkünsten quälen. Sorge macht ihm: er hat gelesen, Frauen schlagen im Alter nach ihren Müttern, und Hysterie kann er im Geschäft nicht brauchen.
    Valence. Deux minutes d’arrêt. Daß mir nur keiner zusteigt. Viszman im graugrünen Hemd, mehr grau als grün, es steht ihm. Dazu das Jackett, die Unwiderstehlichkeit bestimmter Herrenjacketts als Ergebnis jahrelangen Kalküls und verschwiegener Lebenserfahrung; dieses grau und weich, aus Flanell. Viszman ist nicht attraktiv, das nun gar nicht, attraktive Männer gibt es im Fernsehen, sie machen Kraftsport und sonstige Werbung. Die beiläufige Bewegung, mit der Viszman die blaue Fahrkarte in die linke Jackettasche gesteckt hat vorhin, soll wie absichtslos sein, so häufig ausgeführt, daß sie mit der Zeit ins Unbewußte gerutscht ist, eine beiläufig reflexhafte Männlichkeit in grauem Jackett und mit Müdigkeit um die Augen, keine Uhr am linken Handgelenk, Viszman.
    Krawatte: auch keine. Krawattenmord wäre vielleicht in Frage gekommen, da Viszman ersichtlich keinen Muskelsport treibt und kaum größer sein dürfte als ich. Krawattenmorde haben den Vorteil, daß sie geräuschlos durchzuführen sind, auch wenn mir, zugegebenermaßen, nicht wohl ist bei dem Gedanken an Viszmans Gesicht nach der Tat. Ein erster Mord darf beunruhigend sein, aber lieber ein sauberer Mord als am Ende noch weich werden. Aber doch lieber kein Mord mit blauem Viszman-Gesicht nachher, von dem blauen Gesicht müßte ich jahrelang träumen. Im übrigen ist die Geräuschlosigkeit gar nicht so wichtig, da mein Verteidiger auf Notwehr plädiert, und Notwehr muß nicht geräuschlos sein.
    Bis Mâcon ist noch etwas Zeit.
    Abfahren. Niemand mehr zusteigen. Jetzt niemand mehr zusteigen!
    Es sind drei. Zwei Männer und eine Frau. Im Abteil sind vier Plätze frei. Sie fragen erst gar nicht. Ich sage, c’est occupé, aber sie protestieren und machen mich auf das Schild neben der Schiebetür aufmerksam. Drei Reservierungen plus Viszman plus meine Reisetasche neben mir auf dem Sitz. Die können Sie stehenlassen, sagt der eine Mann gehässig.
    Meine Leute machen manchmal nicht, was ich will, diese sind aufsässig und renitent.
    Ihnen ist natürlich nicht klar, was ich weiß: daß sie durch ihre bloße Anwesenheit einen erstklassigen Strafverteidiger daran zu hindern versuchen, sich in dem aufsehenerregenden Mordprozeß Viszman mit einer komplett aus der Luft gegriffenen
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