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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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raus aus der hinteren Tasche, wo er sie aus Gewohnheit hineinsteckt, obwohl seine Frau immer sagt, daß er die Brieftasche im Süden nicht offen in der Hose tragen soll, Ausweise, Führerschein, Scheckkarten, aber er ist absolut nicht bereit, eine diebstahlsichere Tasche um den Bauch zu tragen aus purer, überflüssiger männlicher Eitelkeit; sodann die gelangweilte Unfreundlichkeit auf der Gendarmerie, eine unfreundliche Stadt, Avignon, eine infolge des Diebstahls gespannte Stimmung, obwohl man die Kinder schließlich besänftigen konnte, bestechen nämlich: ein Karussell auf dem Platz und ein McDonald’s auf dem Boulevard … Beide finden, daß Avignon jedenfalls keine Stadt ist zum Wiederkommen, eine feindliche Stadt. Mir ist unklar, was sie dort gesucht haben.
    Es gehört im übrigen nicht hierher.
    Ich könnte sie überreden, in Valence auszusteigen. Sie würden es möglicherweise tun, weil meine Leute am Anfang tun, was ich ihnen sage, aber es wäre unfair von mir, weil es in Valence keinen Anschluß nach Genf gibt. In Bern sitzen fünf Kinder und warten auf ihre erholten Mütter. Hinzu kommt: die Hilfswilligkeit des Hotelgastes heute morgen wäre überflüssig gewesen, und überflüssige Dinge geschehen nur im Leben, während in Büchern jede überflüssige Einzelheit sofort alles verdirbt und strengstens zu meiden ist. Der Hotelgast bleibt uns erhalten, umgestiegen wird in Lyon.
    Kurz vor Valence kommt der Schaffner, der vorher Mesdames, allez vite, allez hopp gesagt und mir die Damen eingebrockt hat mit seiner Galanterie, er wird dafür mit erheblichem Übergewicht und einer freundlichen Glatze ausgestattet.
    Viszmans Fahrschein ist blau, woraus nicht unbedingt zu schließen ist, daß Viszman Franzose ist, mein Fahrschein ist auch blau, sogar die Fahrscheine der Schweizerinnen sind zu meinem Erstaunen blau, blaue Fahrscheine sagen über die Staatsangehörigkeit nichts aus. Der Schaffner knipst Viszmans Karte und sagt: Ihr Anschlußzug steht auf dem Gleis gegenüber, und Viszman sagt, danke, ich weiß. Ich nehme an, daß er nach Dijon will, vielleicht auch weiter bis Metz, von Metz nach Thionville vermutlich, aber es interessiert mich nicht, wohin er will, vor Mâcon wird er sterben.
    Natürlich will er nach Thionville.
    Er steckt den Fahrschein ins Jackett, in die Außentasche, und sieht dann hoch. Unwillkürlich sehe ich auch hoch, obwohl ich unter keinen Umständen noch einen Blick mit ihm tauschen wollte, es ist ein Reflex auf seine Kopfbewegung. Er dreht den Blick, ohne einen Umweg über meine Beine zu machen, langsam weg. Der Schaffner knipst bei den Damen weiter, sie haben eine knappe halbe Stunde Aufenthalt in Lyon, wenigstens das geht nach Plan: dafür soll er eine schöne Korsin als Ehefrau haben, der Schaffner, eine, die von morgen an unauffällig Diät kocht, aber so gut, daß er nichts davon merkt. Er hat seine Chance. Zu mir sagt er, umsteigen Metz. Ich sage, ich weiß. Mesdames, sagt er, gute Reise, als ob er Viszman nicht gesehen hätte, was mich natürlich freut, obwohl es vor Gericht nicht verwendbar sein wird; es wird eine Leiche geben und diese vertrackten Schweizerinnen, die sich an Viszman und womöglich an meine tonlose Aufforderung an Viszman, sich seine Todesart auszusuchen, erinnern und in ihrer Ehrlichkeit bezeugen werden, diesen Satz gehört zu haben. Wählen Sie, Viszman.
    Wie töte ich ihn? Ich sollte mir darüber langsam Gedanken machen, anstatt den Schweizerinnen zuzuhören bei der Rekonstruktion eines Kuttelgerichts, das ins Fotoalbum aufgenommen werden wird, weil es Gras double heißt; über die Karotten und den Speck sind sie sich einig, weil sie sie identifiziert haben, ein Kalbsfuß wird von der Brünetten irgendwo im Kochvorgang vermutet, da das Gericht geliert, wogegen die Blonde von ihren Schwiegereltern ein Kuttelrezept ohne Kalbsfuß erhalten hat, als sie mit ihrem Mann noch gemeinsam nach Südtirol fuhr, und weder kann sie sich Kalbsfuß in Kutteln denken noch den wirklichen Grund, warum ihr Mann immer noch regelmäßig nach Bozen fährt, aber ohne sie mitzunehmen. Besonders den Kindern fehlen die bozener Großeltern sehr.
    Der Blick wird mich nicht aus der Fassung bringen.
    Das Wetter hat sich zugezogen, die Rhône dampft, eine Schweizerin hebt endlich die rollenden Blechdosen auf, die unangenehm gescheppert haben, ab heute abend wird sie wieder Kinderspielzeug aufheben, hingeworfene schmutzige Sachen, Fünf-Freunde-Kassetten. Eine Woche, und die Ferien sind
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