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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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kompromittiert hätten, weil eine jugendliche Geliebte im Wahlkampf kompromittiert, zieht er großzügig an einem der Nylonfäden in seinem unsichtbaren Netz, und schon hängen die Filmhochschule und ein Appartement mit amerikanischer Küche im dritten Arrondissement daran, und in Paris ist endlich was los, was Sylvies Tochter schon immer gern erleben wollte. Aber leider muß sie es allein erleben, weil der Kameramann natürlich nicht mit ihr durch Paris ziehen kann, ein immerhin ziemlich bekannter Mann, und dann sind sie im Konzert oder im Theater, und dann sieht sie jemand, und dann erzählt es jemand seiner Frau, und dann.
    Schließlich gefällt es ihm in dem Appartement mit amerikanischer Küche, es erinnert ihn an seine Film-Hochschulzeit, das Essen holen sie von unten aus dem Restaurant, und wozu ausgehen, wenn dieses Restaurant so gute Linsen mit Salzfleisch macht, Linsen mit Salzfleisch. Linsen mit Salzfleisch.
    Was bleibt Sylvies Tochter übrig: sie geht viel allein ins Kino, oft in die Cinémathèque, schaut sich um, schaut sich an, was sie sieht, das bringt ihr keine Filmhochschule bei, was sie sieht, aber die Technik kann sie dort lernen, wie sie das, was sie sieht, in die Kamera kriegt, sie wird eine hervorragende Kamerafrau und später nicht mehr wissen, warum. Gut so.

E in Zug aus Norden knallt am Fenster vorbei, Viszman zuckt im Schlaf, kurz erscheinen die drei Falten über der Nase. In seinen Mantel gewickelt, schläft er jetzt wirklich tief, er tut nicht nur so, er schläft sein Gesicht glatt und sieht plötzlich jünger aus, als er ist.
    Es ist etwas, was er fürchtet. Einschlafen. Ich schlafe nicht, sagt er, ich schlafe bestimmt nicht ein, die Zeit ist kostbar. Seine Zeit, die bis Mitternacht reicht, meine Zeit reicht etwas länger, aber doch auch nur bis morgen abend, weil ich endlich einmal an die Arbeit muß, während seine Zeit vielleicht bis morgen mittag reicht, aus seiner Zeit und meiner Zeit, die anfangen auseinanderzustreben, muß unsere Zeit zusammengebastelt werden mittels eines Reiseweckers aus Zeitz. Unsere Zeit ist noch kostbarer als seine Zeit und meine Zeit, bloß ist sie eben so wenig, daher ihre Kostbarkeit, je weniger sie wird, um so kostbarer ist sie. Die halbe Zeit geht herum mit den Abendnachrichten und dem Beteuern der Kostbarkeit unserer Zeit, die, so wenig ist sie, nicht mit Schlafen vertan werden darf, sondern nur mit Beteuern und Den-Wecker-Anstarren, Beteuern der Kostbarkeit, Beteuern der Lebensfreude, geteilter natürlich, vom Teilen wird jede Lebensfreude gleich doppelt so froh und kostbar. Ich schlage einen Spaziergang am Meer vor, um einmal aus diesem Zimmer herauszukommen, in dem sich die Vogelbeerentapete gleich auf mich stürzt, Viszman bekennt, nichts mehr als Meeresspaziergänge zu lieben, mich ausgenommen, da er mich mehr als alles liebt. Aus einer anfänglichen Verliebtheit ist auf der gesunden Basis geteilter und verdoppelter Büroklammern und Eselsohren und Kuhlen in Hotelbetten eine gewaltige Liebe geworden, die sich mit weiteren Büroklammern oder Vogelbeeren (bekanntlich giftig) allerdings allmählich nicht mehr zufriedengibt, sondern nach Nahrung schreit (Pizza zählt nicht). Also: Meeresspaziergang; danach die besagten Rochenflügel in Kapernsoße, zu denen es in Metz bedauerlicherweise immer nicht kommen will: die Zeit! Martigues, sage ich, Viszman antwortet etwas im Konjunktiv, aber begeistert, bei aller Begeisterung aber besonnen im Hinblick darauf, daß ich womöglich nicht arbeiten könnte, während ich in Martigues mit Viszman spazierengehe. Ich erspare Viszman den Hinweis, daß ich auch nicht arbeiten kann, wenn ich in Metz von einer Vogelbeerentapete in einer Hotelbettkuhle vergiftet oder erschlagen werde, dann ist es aus mit der Arbeit, aber seine Feinfühligkeit erfordert meinerseits Takt, auch er kann schließlich nicht arbeiten, während er in Martigues ist, unsere Arbeit ist uns nicht nur wichtig, sondern gegenseitig geradezu heilig, obwohl sie der Feind unserer Liebe zu werden beginnt: Viszman muß kurz nach Mitternacht zu seiner Arbeit zurück, die er allerhöchstens morgen mittag noch einmal kurz unterbrechen kann, bevor ich zum Zug muß – meiner Arbeit halber; die Erdölbohrungen draußen in der Dunkelheit vor einem Fenster mit ausgesprochen unfarbigen Gardinen sind ein handfester Indikativ. Viszman hat vor Müdigkeit und vor Arbeit, besonders vor Sorge um meine Arbeit, rote Augen, Martigues ist ein Konjunktiv, eine Liebe wird eine
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