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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Hotelzimmer sind in ihrer Häßlichkeit nicht betretbar, ohne daß man sich sagt: ein paar Stunden, und schließlich werden die Stunden alle zehn Minuten vom Reisewecker abgelesen; Spätnachrichten hätten über Nacht die Lage der Welt verändern oder am nächsten Morgen lebenswichtig gewesen sein können, dazu die von Hotelzimmer zu Hotelzimmer häßlicheren Tapeten, kippeligeren Tischchen, tröpfelnderen Duschen, der Aufstand gegen die Zeit stürzt in die Obdachlosigkeit, auch kann man nicht tage- und vor allem nächteweise alle Anrufbeantworter einfach blinken lassen, aus zweiten, dritten, vierten Hotelzimmern müssen Telefonate geführt werden mit Blick auf eine Tapete, deren Reste mit Tapetenblumen bedruckt sind, schließlich mit Vogelbeeren; kurz: zweite Hotelzimmer sind das Gegenteil von ersten Hotelzimmern, und von da an wird es immer schlimmer, und Viszmans Anspielung auf die Kälte, somit auf die Wärme, die angesichts der bestehenden Kälte wünschenswert wäre, wenngleich durch Viszmans grünen Mantel nicht zu erzeugen, ist ein billiger Trick, der mich gegen ihn aufbringt. Diderot hat er weggelegt und die Augen geschlossen, er tut, als schliefe er, aber er schläft nicht, denn als der Schaffner hereinkommt, um meinen Minirock zu betrachten, ist er übergangslos hellwach, der Schaffner erinnert sich nicht, daß Viszman in Dijon hätte aussteigen müssen und bis Metz also schwarz fährt, immerhin ein Delikt, aber da ich zumindest nach außen mit Viszman so solidarisch bin, wie es sich nach einer Nacht im Hotel gehört, werde ich ihn nicht verraten; im übrigen hat der Schaffner heute einen schweren Abend, weil er morgen früh erst wieder zurück darf, er würde gern auf die vorgeschriebenen Pausen zwischen den Fahrten verzichten und dafür heute nacht noch zurück, um seine Frau morgen früh zu erwischen, aber die eigene Gewerkschaft läßt ihn nicht, er muß laut Gewerkschaft im Personalheim schlafen, und der Kollege, mit dem er sonst vor dem Schlafengehen ein Bier trinkt, fährt neuerdings TGV Nîmes–Paris, also wird er sehen müssen, wen er im Personalheim heute trifft, wenn er ankommt, und als er ankommt, ruft er als erstes zu Hause an, aber niemand hebt ab. Um elf ruft er noch mal an. Dann alle halbe Stunde. Als sie schließlich abhebt, ist es gegen zwei, sie tut, als hätte er sie geweckt, aber ihm kann sie nichts vormachen, er hat sie per Telefon überführt, was heißt Unwetter. Unwetter heißt, daß das Telefon einfach nicht ging. Stromausfall. Stundenlang abgeschnitten. Das soll er glauben? Jedenfalls wird sie vorsichtshalber morgen die Meldung vom Stromausfall aus der Zeitung ausgeschnitten haben und ihm mit korsischem Hochmut unter die Nase halten, wenn er nach Hause kommt, und wenn er es dann nicht glaubt, wird sie für Eifersucht eine ärztliche Behandlung fordern. Auf Krankenschein. Genau wie für Bluthochdruck und Cholesterin.
    Tatsächlich: gegen Viszmans Ausrede in Besançon ist der Stromausfall der Korsin die reine Wahrheit, da sie zwar bis kurz vor halb elf bei Nachbarn zum Fernsehen war, um diese Sendung zu sehen, in der das gesamte Publikum mit Gepäck erscheint, weil alle gewinnen und dann auf der Stelle nach Tahiti wollen oder in ein Hotel in der trübsten Provinz, das bloß Tahiti heißt, alle halten ihre Zahnbürsten hoch, die sie nicht vergessen dürfen, und es lacht sich besser zu dritt. Vor allem: um halb elf war sie wieder daheim. Ja doch!
    Als um elf das Telefon geklingelt hat, ist sie nicht rangegangen, weil sie dachte, er ruft nicht zum erstenmal an, und für die Szene ist morgen noch Zeit. Danach hat sie geschlafen. Danach der Stromausfall.
    Dagegen Viszmans Ausrede in Besançon!
    Ich will sie nicht wissen.
    Ich weiß sie schon.
    Das reicht.
    Das müßte reichen, wie schon drei Verlegenheitsfalten in einem Café reichen müßten; eine Frage der Personenführung, nämlich meiner eigenen Person, über die ich offenbar machtlos bin, weil sie zwar jetzt entschlossen ist, Freitag den Zug über Straßburg zu nehmen, aber: schon morgen, schon im Zug, mittags beim Restfrikassee, das meine Mutter vorwurfsvoll aufwärmt mit der Bemerkung, wie schlecht ich aussehe, den ganzen Tag, am Abend am Winterfeldtplatz, während der Verleger betrübt über mangelndes Handwerk zu sprechen genötigt ist, die ganze Zeit über will mir scheinen, als seien Büroklammern, Eselsohren, schmutzige Schuhe und Diderot in ihrer Kombination die Gewähr für eine glückliche Zukunft Europas im allgemeinen,
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