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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord
Autoren: Birgit Vanderbeke
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vergessen.
    Die Augen waren ungefähr grau oder graugrün oder graublau. Nichtssagend natürlich. Dahinter: Viszman. Eine Krankenkassennummer, eine Steuernummer beim Finanzamt, ein Familienstand: verheiratet ledig geschieden. Beruf: keine Ahnung. Ich werde mir keinen Beruf ausdenken für Viszman. Im Grunde ist schon der Name zuviel. Etwas um die Augen herum, nicht der Blick, nur die Augenumgebung, deutet ein Leben an, eine unregelmäßige, eckige Sache mit Rissen und Sprüngen darin, meinetwegen darf er Trotzkist gewesen sein, als er jung war. Heute jedenfalls hat er einen dunkelgrünen Mantel. Das um die Augen herum, sozusagen das Leben, das Leben als Rätsel, nämlich ein Viszman-Rätsel, damit macht er weich, wen er will.
    Die Schweizerinnen blättern in ihrer Marie Claire und werden gleich mit den Frisuren anfangen, eine blonde Dauerwelle ist erneuerungsbedürftig oder müßte am besten ganz herausgeschnitten werden, die Mischung aus Blond und Dauerwelle geht auch der tüchtigsten berner Friseuse mal schief, und die wöchentlichen Kurpackungen können daran nichts ändern, einmal frisch durchschneiden, das Ganze, während ein brauner Pagenkopf durch einen Schimmer Kastanie tatsächlich weniger bieder würde. Kastanie oder Mahagoni, wenn sie den Mut dazu findet. Ich beschließe, daß ihrem Skilehrer gleichgültig ist, ob Braun oder Mahagoni, dem Skilehrer geht es ausschließlich um Reife und Üppigkeit und nicht um Tönungsshampoo, während es dem Mann der Brünetten tatsächlich nur ums Geschäft geht, Obst- und Gemüsegroßhandel, Buchführung, Rechnungsprüfung, Ärger mit der Transportgesellschaft, Ärger mit der Transportgewerkschaft, die Ehe ist seit Jahren erloschen. Er sollte sich eine Känguruhtasche um den Bauch binden, anstatt sich beklauen zu lassen aus Eitelkeit. Der Obst- und Gemüsegroßhändler wird mit Sicherheit nichts bemerken, wenn der Pagenkopf umgefärbt wird, und der Pagenkopf wird auch nicht seinetwegen gefärbt. Man ist gleich ein neuer Mensch.
    Viszman hat die Augen geschlossen und raucht. Ein Trick, den ich kenne. Sie schließen die Augen und rauchen männlich vor sich hin, damit man hinsieht, und wenn man hinsieht, haben sie einen: man wird weich. Eine bestimmte Müdigkeit kommt vom Leben, und es ist unklar, was einen weichmacht, die Müdigkeit oder das Leben, weil die Müdigkeit nach einer verständigen Frauenhand zu verlangen scheint, die sanft über die Männerstirn streicht, während das Leben diverses Know-how verheißt, Abgründe inbegriffen, daher aus Müdigkeit und gelebtem Leben regelmäßig der nichtssagende Blick, überhaupt das Nichtssagen, Nichtspreisgeben: nur eben Wortkargheit in entscheidenden Augenblicken, ein verheißendes Nichtssagen in den graublauen Augen, weil das Leben ein gelebtes Geheimnis ist, natürlich muß beides verschwiegen werden, das Leben selbst und das damit verbundene Geheimnis bringen jeden denkenden Menschen dazu, den Mund zu halten und nicht herauszutrompeten, was er darüber weiß. An der Müdigkeit um die Augen und an der Wortkargheit erkennt man, ob jemand denken kann, und natürlich kann Viszman denken, auch wenn er in seiner Jugend meinetwegen Trotzkist war, sehr viele denkende Menschen waren schließlich in ihrer Jugend Trotzkisten oder Maoisten oder sonstwelche Kommunisten, Stalinisten, es ist der reine Zufall, daß ich in meiner Jugend nicht Trotzkist oder Stalinist war.
    Sterben muß er nicht etwa, weil er Trotzkist war.
    Mich jedenfalls macht er nicht weich, ich warte bis Lyon, und dann ist er dran. Sein Geheimnis kann er mit ins Grab nehmen.

I ch könnte es mir leichtmachen. Ich brauchte nur hinzuschreiben: Kurz vor Maĉon habe ich Viszman getötet, während draußen Landschaft mit Weinernte vorüberflog, der lyoner Dauernebel wäre einem burgundischen Regen gewichen, ich hätte es hinter mir, und er wäre tot, die Frage der Waffen wäre zunächst gleichgültig, die Todesursache würde ich aus der Anklageschrift erfahren, die mein Verteidiger mir zuschickt.
    Mein Verteidiger: Selbstverständlich wird er auf Notwehr plädieren. Er sieht es so: die Schweizerinnen sind in Lyon ausgestiegen und über Lausanne nach Bern weitergefahren, ab Lyon haben sich das spätere Opfer sowie die Angeklagte allein im Abteil befunden, bereits beim Verlassen des Bahnhofs Lyon Part Dieu hat das spätere Opfer plötzlich die Schiebetürgardine vor die Schiebegangtür gezogen. Die Angeklagte bittet um Wiederaufziehen der Schiebetürgardine, was das spätere
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