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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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fand. »Es blieb rätselhaft«, so Nevins,
»warum er überhaupt geheiratet hatte; denn zu dieser Zeit wußte er längst, daß
er homosexuell war. Vielleicht war es aber auch nur ein übler Scherz .« Offensichtlich durchstreifte er nachts die Hafenviertel,
auf der Suche nach Liebhabern.
    Wie auch immer, Anfang der dreißiger
Jahre kehrte er zu seiner Mutter nach Manhattan zurück und begleitete sie auf
ausgedehnten Reisen ins Ausland. 1932 veröffentlichte er den Roman »Manhattan
Love Song«, der die Motive seiner späteren Thriller vorwegnahm, doch Geld
machte er damit nicht. Die Depression setzte auch dem seltsamen Woolrich-Paar
zu, das nun für 25 Jahre ausschließlich in Pensionen oder billigen Hotels leben
sollte. Cornell verkroch sich in seinem Zimmer hinter der Schreibmaschine, und
ging nur aus, wenn es unbedingt sein mußte. Er wurde, gefangen in der Haßliebe
zur Mama, zu einer regelrechten Figur aus den Einsamkeitsgemälden Edward
Hoppers.
    1934 entschloß er sich, seinen Traum
vom ambitionierten Gesellschaftsroman über Bord zu werfen und sich der Mystery-
und Suspense-Literatur zuzuwenden. In den Dreißigern blühte in den USA eine
enorme Pulp - Kultur, aus der alle großen Krimi-Autoren hervorgingen. In den
sogenannten Schundheften wie »Detective Fiction Weekly«, »Dime Detective« oder
»Black Mask«, dem anspruchvollsten Magazin, lernten die Autoren das
funktionale, knappe und schlackenlose Schreiben.
    Unzählige Kurzgeschichten verfaßte
Woolrich für derartige Magazine, die — von der Depression geprägt — fast alle
von armen Schluckern handeln, die in heruntergekommenen Hotels, schäbigen
Tanzschuppen, Kinosälen oder Hinterzimmern von Polizeirevieren mit Alpträumen
konfrontiert werden. Woolrich entwickelte seinen Kosmos aus einer eigenen
Grunderfahrung monumentaler Verlassenheit heraus.
    »Mein Los war die Einsamkeit«, schreibt
er in seiner Autobiographie, die Christian Bauer als einziger Deutscher bislang
einsehen durfte, »und ich fügte mich gerne. So geht es manchen, und ich bin
nicht der einzige. All die ungezählten Male, die ich irgendwo mit einem Drink
vor mir an einem Tisch saß, spät in der Nacht, wenn andere nach Hause gehen,
und nachdenklich vor mich hinstarrte, nirgendwo und bei niemandem zuhause war,
das war eine eher melancholische Pose, denn irgendwo, ganz tief in mir war
klar, daß ich das gar nicht anders wollte, denn wenn irgendwo irgend jemand mit
offenen Armen auf mich gewartet hätte, wäre ich auf der Stelle umgedreht und in
die entgegengesetzte Richtung geflohen. Ich pflegte meine Einsamkeit. Ich genoß
mein Selbstmitleid. Und, um ehrlich zu sein: Einsamkeit paßte wunderbar zu
meiner Arbeit. Sie stand mir gut zu Gesicht, als ich noch jung war, und als ich
schon nicht mehr ganz so jung war, schon weniger. Aber da hatte ich schon
längst nicht mehr die Wahl. Meine Einsamkeit war Wirklichkeit geworden .«
    Mit einer Kurzgeschichte wurde er — wenn
auch spät — leidlich bekannt: »Rear Window«, aus der Alfred Hitchcock 1954 einen
fulminanten Film machte. Die Geschichte gibt exakt Woolrichs eigene Situation
wieder: Ein Mann, an den Rollstuhl gefesselt, zur Unbeweglichkeit gezwungen,
hockt Tag und Nacht am Fenster seines kleinen Appartements und beobachtet die
Nachbarn in den gegenüberliegenden Wohnungen — bis er einem Mord auf die Spur
zu kommen glaubt. »Ihre Namen kannte ich nicht. Auch ihre Stimmen hatte ich nie
gehört .« Mit diesem Satz beginnt »Rear Window«;
»Genaugenommen kannte ich sie nicht einmal vom Sehen, denn ihre Gesichter waren
auf diese Entfernung zu klein, um unterscheidbare Merkmale erkennen zu lassen.
Dennoch konnte ich genau sagen, wann jeder von ihnen kam und ging, hätte ich
einen Stundenplan ihrer alltäglichen Gewohnheiten und Beschäftigungen
aufstellen können .« Und weiter hinten heißt es: »Die
Kette der kleinen Gewohnheiten, die ihr Leben ausmachten, spulte sich ab. In
die waren sie enger eingeschnürt als jemals irgendein Gefängnisinsasse in eine
Zwangsjacke, obwohl sie allesamt meinten, frei zu sein .«
    Eingefroren in seine Einsamkeit,
reduziert in seiner Bewegungsfreiheit, bleibt ihm nur das Beobachten, aber aus
sicherer Distanz. Alle Woolrich-Figuren nehmen grundsätzlich diese Haltung ein.
Jeglichen Verpflichtungen entbunden, könnten sie sich wenden, wohin immer es
ihnen beliebte. Wie aber nützen sie diese Bindungslosigkeit? Entsetzt über die
Entfremdung der Außenwelt, panisch erschrocken über Mißverständnisse,
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