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Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel
Autoren: Jeanine Krock
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wir sie ihr nicht selbst bringen sollten?»
    «Natürlich. Nachdem du sie einfach vor die Tür gesetzt hast, kannst du wohl kaum schon am nächsten Tag bei ihr auftauchen.»
    «Ich habe sie doch nicht hinausgeworfen!»
    Die Frau legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. «Natürlich nicht, Schatz. Das weiß ich ja. Wir müssen Tom einfach vertrauen, dass er sich um unsere Kleine kümmert.»
    Ein Blick in die Gedanken des Mannes enthüllte ihm dessen Zweifel an der Zuverlässigkeit dieses Toms, und er nahm sich vor, ihn genau zu durchleuchten, um eine mögliche Gefahr für das Mädchen auszuschließen.
    Die Sterbliche ahnte nichts von den Vorbehalten ihres Mannes und küsste ihn.
    Julen erkannte, dass er hier vorerst nichts Neues erfahren würde. Also kehrte er in das Zimmer des Mädchens zurück, um nach Hinweisen auf ihre Persönlichkeit zu suchen. Sie mochte sich extrem eingerichtet haben, doch Bücher, Notizen und die Zeugniskopie, die er in einem Schubfach ihres Schreibtischs gefunden hatte, bewiesen, dass sie letztlich eine ganz normale Schulabgängerin war.
    Es dauerte lange, bis er ein Foto fand. Sommerferien am Meer war in ungelenker Schrift auf die Rückseite gekritzelt und eine Jahreszahl. Ein Mädchen im geblümten Kleid stand mit verschränkten Armen am Strand und blinzelte in die Kamera. Ihre langen Haare flogen im Wind, und wenn sie damals auch noch ein Kind gewesen war, so konnte nicht nur ein erfahrener Frauenliebhaber wie Julen bereits erkennen, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft eine Schönheit werden würde.
    Weitere Aufnahmen fand er später in den Räumen der Eltern, keine davon war aber jüngeren Datums. Offenbar hatte sie ab einem gewissen Alter beschlossen, keine Bilder mehr von sich machen zu lassen oder zumindest keinerlei Abzüge davon aufzuheben.
    Die vorhandenen Informationen reichten ihm jedoch vorerst. Er wusste nun ungefähr, wie sie aussah, kannte einige ihrer Vorlieben und vor allem kannte er ihren Duft.
    Julen atmete ihn noch einmal tief ein. Irgendetwas regte sich in seinem Unterbewusstsein und verlangte nach Aufmerksamkeit. So sehr er sich aber bemühte, er kam nicht darauf, was es war. Der Geruch von Erde, den Apfelbäumen, die vor ihrem Fenster wuchsen, und zarten Gräsern wollte so gar nicht zu ihrer eigentümlichen Behausung passen. Vermutlich liegt es daran.
    Unsichtbar und nahezu lautlos landete Julen mit einem eleganten Sprung auf dem Balkon. Behutsam drückte er die unverschlossene Tür auf und lauschte. Deutlich waren Stimmen aus der Tiefe der Wohnung zu hören. Er zählte vier Sterbliche, zwei Männer und zwei Frauen. Doch ihn interessierte nur eine. Die Stimme klang weich und ausgesprochen melodisch, sofort fühlte er sich zu ihr hingezogen.
    Julen konnte sich nur an wenige Situationen in seinem Leben erinnern, in denen er ähnlich intensiv auf das Timbre einer Frauenstimme reagiert hatte. Es waren keine guten Erinnerungen, die sich ihren Weg zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins bahnen wollten, und er schüttelte den Kopf, um sie loszuwerden. Es dauerte keine Sekunde, bis er sich wieder im Griff hatte. Nur das Hier und Jetzt war wichtig, der Auftrag und seine Schutzbefohlene.
    Dieses neue Zimmer passte viel besser zu ihr. Er verstand zwar die geschmacklichen Kapriolen der Frauen nicht, wusste jedoch aus Erfahrung, dass jeder Sterbliche in dem Augenblick aufblühte, in dem er zu sich selbst fand. Und wonach auch immer die eigenartige Gruft in ihrem Elternhaus ausgesehen hatte, ein Zeichen für innere Harmonie war sie nicht gewesen. Im Grunde war es aber auch egal. Das Mädchen war jung und würde noch einen langen Weg gehen müssen. Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass ihr unterwegs nichts zustieß. Nicht mehr ... aber auch nicht weniger.
    Warum ausgerechnet ich?, stöhnte er in Gedanken. Als ob er ein Händchen für heranwachsende Feentöchter hätte. Julens Lippen bildeten nur noch eine schmale Linie. Wahrscheinlich sind sie mein Schicksal. Eine Spur von Selbstironie würzte diesen Gedanken. Seine letzte Freundin war ein bisschen verrückt und oft ziemlich unberechenbar gewesen. Davon hatte er vorerst die Nase voll. Apropos Nase, seine verriet ihm, dass vor nicht allzu langer Zeit ein magisches Reinigungsritual in dieser Wohnung vollzogen worden war. Schlechte Neuigkeiten. Welcher der Bewohner verstand sich auf solche Dinge?
    Julen lauschte dem Geplänkel der vier Sterblichen und die häufige Erwähnung eines Sargs trug dabei nicht eben zu
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