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Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel
Autoren: Jeanine Krock
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zu sein schien. Liebevoll strich sie über das Holz.
    Julen hatte keine Eile, dennoch dauerte es auch für sein Empfinden eine ganze Weile, bis sie den Bogen ansetzte und spielte. Er hatte mit Fingerübungen einer Musikschülerin gerechnet, nicht aber mit nahezu vollkommenen Harmonien, die ihn verzaubern würden. Das Mädchen war eine Künstlerin – womöglich lag darin der Grund, dass es einem unbekannten Auftraggeber wichtig erschien, sie schützen zu lassen. Über zweihundert Jahre hatte er Zeit gehabt, die Musik zu studieren, und trotzdem gab es immer wieder Neues zu entdecken. Er hatte sich eine große Neugier auf das Leben bewahrt, obwohl die Tage eines Vampirs oft genug lang und eintönig waren und sich die Zukunft wie ein endloses Band vor ihm erstreckte. Es waren einzigartige Augenblicke wie dieser, die Julen dankbar bleiben ließen für sein einzigartiges Schicksal.
    Wie verzaubert lauschte er weiter ihrem Spiel. Als Alva schließlich das letzte Stück mit einer waghalsigen Variation beendete, kam es ihm vor, als müsste er ein warmes Bett gegen einen Schwall Eiswasser tauschen.
    Anschließend verpackte sie ihr Instrument so sorgfältig, als würde sie ein Kind zu Bett bringen. Dann wandte sie sich ab, nahm einen abgegriffenen Hasen vom Bett und küsste ihn. «Gute Nacht, mein Freund!»
    Sie ist so jung! Mit seiner Befürchtung, als Babysitter missbraucht zu werden, hatte er also nicht ganz falsch gelegen. Dennoch erschien ihm diese Aufgabe plötzlich weit weniger fad, als noch vor kaum mehr als einer Stunde. Sie wirkte mädchenhaft und unerfahren, keine Frage, und sie hatte vermutlich keine Vorstellung davon, wer sie wirklich war. Allerdings wirkte sie auch wieder nicht so kindlich, als dass er sich schäbig gefühlt hätte, als er ihr nun interessiert zusah, wie sie zu einer Musik tanzte, die nur in ihrem Kopf erklang, und sich dabei auszog. Sie entkleidete sich jedoch mit einer solchen Unschuld, dass Julen schließlich trotzdem wegsah. Gerade noch rechtzeitig schenkte er ihr wieder seine Aufmerksamkeit, um festzustellen, dass an ihrer Figur nichts, aber auch gar nichts kindlich wirkte.
    Sein feines Gehör verriet ihm, dass sie ihr Zimmer in Richtung Bad verließ, und er gönnte ihr etwas Privatsphäre. Bald darauf klapperte in der Küche Geschirr. Als sie zurückkehrte, schlug sie die Bettdecke beiseite und setzte sich mit einem Buch in der einen und einem Glas in der anderen Hand in ihr Bett.
    Roch er da Milch mit Honig? Ein Bild stieg in ihm auf: Zwei Jungs, eng aneinander gekuschelt in einem Bett, das sie miteinander teilten. Vorsichtig blies er über fein gesüßte Milch, bis sich die Oberfläche kräuselte und diese kleinen weißen Inseln entstanden, die er mehr hasste als alles andere. Und wenn niemand schaute, fischte sein Bruder nach den weichen Fladen und gab dabei immer einen Zischlaut von sich, wenn er die schmutzigen Finger schnell wieder aus dem heißen Trunk herauszog, um sie danach genüsslich abzulecken.
    Julen sah zu, wie Alva einen Löffel nahm, ihn in ihr Glas steckte und umrührte. Als sie ihn wieder herauszog und das Silber von einer weißen Haut überzogen war, verzog sie das Gesicht und wischte den Löffel an einer Serviette ab, die sie anschließend zusammenknüllte.
    Aus einem unbegreiflichen Grund freute er sich über diese Gemeinsamkeit und beobachtete gebannt ihr Gesicht, das ein ähnliches Entzücken widerspiegelte, wie es der sehr junge Julen in einer anderen Zeit ebenfalls empfunden hatte, wenn er endlich von seiner abgekühlten Milch nippen konnte.
    Mit dem Handrücken wischte sie sich einen zarten Milchbart von der Oberlippe, stand auf und ging zu einer großen Kiste, in der sie eine Weile wühlte. Julen unterhielt sich mit dem Anblick ihres hübsch geformten Hinterteils, das ihm umso besser gefiel, je angestrengter sie zu suchen schien. Er hätte noch eine Weile zuschauen können, doch da schien sie gefunden zu haben, was sie gesucht hatte, und kehrte mit ihrer Beute ins Bett zurück.
    Ein Buch und etwas zum Knabbern, das konnte eine lange Wartezeit bedeuten. Julen überlegte sich, ob er es wagen durfte, seinen Beobachtungsposten zu verlassen, um selbst in einer ruhigen Seitenstraße einen kleinen Imbiss einzunehmen. Vorerst wollte er jedoch darauf verzichten, seinen Aufenthaltsort preiszugeben, indem er sich frische Blutkonserven liefern ließ. Die Firma, bei der er bestellte, war zwar diskret, aber irgendjemand redete immer.
    Der Schlaftrunk schien jedoch seine
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