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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht
Autoren: Joseph Roth
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tränke. Er trank also, und es brannte gewaltig in seiner Kehle, und er aß daraufhin noch die gesalzenen Erbsen, die das Brennen noch verstärkten. Vor ihm saß indessen die Frau, unbeweglich. Mit den schlanken dunkelbraunen Fingern, von denen jeder einzelne aussah wie eine winzige, schlanke, rosenköpfige, leicht gebrechliche und dennoch kräftige Frau, umklammerte sie das Gläschen. Auch ihre Augen waren nicht auf den Eichmeister Eibenschütz gerichtet, sondern auf den wasserklaren Schnaps. Eibenschütz sah ihre langen, aufwärtsgebogenen seidenschwarzen Wimpern, die schwärzer waren als das Kleid der Frau.
    »Ich habe Sie noch nie hier gesehen!« sagte er auf einmal, und er wurde rot dabei, und er zwirbelte mit beiden Händen den Schnurrbart, als könnte er auf diese Weise seine plötzliche, lächerliche Röte verbergen. »Ich Sie auch nicht«, sagte sie – und es war wie die Stimme einer Nachtigall. In jungen Jahren, in den Wäldern rings um Nikolsburg hatte er sie manchmal gehört. »Kommen Sie denn oft hierher?«
    »Manchmal im Dienst!« sagte er und hörte nicht auf, seinen weichen Schnurrbart zu zwirbeln. Er konnte einfach nicht mehr die Hände vom Gesicht wegnehmen.
    »Im Dienst?« flötete sie. »Was für Dienst?«
    Er ließ die Hände fallen. »Ich bin Eichmeister«, sagte er ernst.
    »Ach so!« sagte sie, leerte ihr Glas, stand auf, nickte und ging wieder die Treppe empor.
    Der Eichmeister Eibenschütz sah ihr nach, dem gefältelten Rock, der auf jedem Treppenabsatz ein zartes, sachtes Rad zu schlagen schien, und den schmalen Schuhen, die darunter erschienen. Längst schon schnarchten die Deserteure. Einige hatten ihre Köpfe auf die harten Tische gelegt. Andere lagen wie pralle, atmende Säcke unter den Tischen. Alle schnarchten laut und etwas grausam.
    Er ging zur Theke. Er wollte bezahlen. Hinter der Theke stand Leibusch Jadlowker, und er sagte so drohend und so freundlich: »Herr Eichmeister, heute sind Sie mein Gast! Sie zahlen gar nichts!«, daß zum erstenmal in seinem Leben den früheren Feuerwerker Eibenschütz der Mut verließ und daß er nur »Gute Nacht« sagte.
    Nach Hause ging er sehr langsam. Er vergaß, daß er sein Wägelchen vor dem Wirtshaus stehengelassen hatte. Dennoch folgte ihm das Pferd gehorsam wie ein Hund und zog das Gefährt hinter sich her.
    Es war schon heller Morgen, als er ankam. Das behäbige Dienstmädchen stellte ihm Tee und Brot auf den Tisch. Er schob alles weg.
    Er hörte die Schritte seiner Frau. »Guten Morgen!« sagte sie. Sie trat auf ihn zu, sie machte Anstalten, ihn zu umarmen. Er erhob sich sofort.
    »Du schläfst von nun ab in der Küche!« sagte er, »oder du wirst das Haus verlassen!«
    Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Wenn dein Bett heute nacht nicht in der Küche steht, schläfst du morgen nacht bei Nowak oder draußen.«
    Er erinnerte sich plötzlich an seinen Wagen, an sein Pferd. Gehorsam warteten sie vor dem Gitter des kleinen Gartens. Längst war es schon wacher Tag.
    Er fuhr zum Amt, in die Bezirkshauptmannschaft. Und er schrieb mit eigener Hand sehr langsam, mit Doppelrand, in der klaren, kindlich-kalligraphischen Schrift eines kaiserköniglichen Feuerwerkers ein Gesuch an die Gemeinde, sie möchte den Schreiber Josef Nowak einer Nachbargemeinde abgeben. Er sei mit ihm nicht zufrieden. Er wünsche einen andern.
    Es machte ihm einige Pein, einer Gemeinde ein Schreiben zu schicken. Er war immerhin zwölf Jahre Feuerwerker gewesen, und er hätte ein Anrecht auf einen richtigen, auf einen echten Staatsbeamtenposten gehabt. Dank seiner Frau aber hatte er diesen gewählt (er war eigentlich ein Gemeindebeamter, den allerdings der Staat bezahlte).
    In dieser Stunde tat es ihm besonders weh, daß er nicht unmittelbar dem Staat unterstellt war.
    Er war etwa eine Stunde vor dem Dienst gekommen. Als der Schreiber Nowak eintrat, sagte ihm der Eichmeister: »Sie werden diesen Posten verlassen. Ich bin mit Ihnen unzufrieden. Ich habe Ihre Entlassung oder Ihre Versetzung soeben beantragt.«
    Der junge, ehrgeizige Mann sagte nur das eine Wort: »Aber –«
    »Schweigen Sie!« rief Eibenschütz, wie er dereinst auf dem Exerzierplatz geschrien hatte, als er noch Feuerwerker gewesen war.
    Er tat so, als vertiefte er sich in Akten. In Wirklichkeit aber dachte er über sein Leben nach. Nowak, gut – so dachte er –, der wird also verschwinden. Mit meiner Frau habe ich nichts mehr zu tun. Sie wird in der Küche schlafen. Hinauswerfen werde ich sie nicht, ich
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