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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht
Autoren: Joseph Roth
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und schnallt mit zitternden und dennoch sicheren Fingern das Riemenzeug um, und die warme Wollhaardecke rollt er um den Leib des Tieres und bindet sie fest. Er spannt den Schimmel vor den Schlitten. Er schnallt die Glocke um den Hals des Pferdes. Er setzt sich hin, er nimmt die Zügel in die Hand und sagt: »Jakob!« Noch einen hastigen, gehässigen Blick wirft er auf die erleuchteten Fenster seiner Wohnung. Wie sehr haßt er die drei Frauen, die ihn drinnen erwarten: die Frau zuerst, das Dienstmädchen zunächst und schließlich die Katze. »Jakob!« sagte er, und der Schlitten gleitet auf seinen zuerst knirschenden, dann sanft und sanfter und lautlos werdenden Kufen dahin, zum Tor hinaus. Der Schimmel weiß, wohin.
    Der Frost saust um das Gesicht des Eichmeisters, der Frost ist ein stummer Sturm, und die Nacht ist klar, als wäre sie aus Glas, aus Kristall gar. Die Sterne sieht man nicht, denn man achtet wohl auf den Weg, aber man fühlt sie hart und klar, als wären auch sie alle aus Eis, über dem Kopf. Man fühlt sie so sehr, daß man sie beinahe sieht, obwohl man auf den Weg achten muß. Man saust dahin.
    Wohin saust man so mit dem Schimmel Jakob? Er weiß den Weg allein. Er galoppiert nach Szwaby.
    Und wohin in Szwaby? In die Grenzschenke Jadlowkers. Es ist, als hätte er auch Sehnsucht, wie sein Herr, nach der Zigeunerin Euphemia Nikitsch.

XIII
    In der Grenzschenke Jadlowkers war es warm und gut und fröhlich. Man trank, man spielte Karten, man rauchte. Der Rauch stand über den Häuptern der Männer. Es waren keine Frauen vorhanden, und das war gut. Der Eichmeister Eibenschütz hätte schwer die Anwesenheit einer Frau vertragen können, es sei denn die der Euphemia Nikitsch. Aber sie zeigte sich nicht. Eibenschütz wußte gar nicht, daß er hierhergekommen war, sie zu sehen. Erst, als er Platz genommen und einen Schluck getan hatte, glaubte er zu wissen, daß er eigentlich hierhergekommen war, um die Frau wiederzusehen. Gelegentlich kam Leibusch Jadlowker an seinen Tisch und setzte sich für eine Weile hin, flüchtig, wie sich eine Biene auf Honig setzt, ein Schmetterling auf Blumen. Je ernster der Eichmeister Eibenschütz wurde – und er wurde immer ernster, je mehr er trank –, desto heiterer erschien ihm Jadlowker. Heiterer erschien er ihm und gehässiger. Er wußte wohl, der Eichmeister Eibenschütz, daß die meisten Denunziationsbriefe von der Hand Jadlowkers stammten. Sehr wahrscheinlich war es, daß Jadlowker die Aufmerksamkeit des Eichmeisters von sich ab und auf andere lenken wollte. Er wußte das, er glaubte, es zu wissen, der Eibenschütz. Dennoch ertrug er die süßliche Freundlichkeit des Gastwirtes mit unerschütterlicher Geduld und sogar mit einer andächtigen Sanftmut. Er sah das widerliche, breite, stets grinsende Angesicht Jadlowkers an. Ein spitzes rotblondes Bärtchen zierte es. Man kann sagen: zieren, nichts hätte es entstellen können. Es war blaß, von einer wächsernen Blässe. Zwei winzige grünliche Äuglein glommen darin wie Lichter, die bereits erloschen sind, und dennoch immer noch Lichter; den Sternen ähnlich, von denen die Astronomen wissen, daß sie seit Jahrtausenden bereits erstorben sind, und die wir trotzdem immer noch leuchten sehen. Das einzig Lebendige war noch der rote Spitzbart. Er sah aus wie ein dreieckiges Feuerchen, das etwa überraschenderweise einer längst tot geglaubten, erloschen geglaubten Materie entspringt.
    »Gehorsamst! Herr Eichmeister!« sagte Leibusch immer wieder, sooft er an den Tisch herankam. Es war, als wollte er immer wieder, im Laufe eines einzigen Abends, den Eichmeister zum erstenmal gesehen haben. Eibenschütz ahnte in diesem Verfahren eine gewisse Ironie. Eine gewisse Ironie mochte Eibenschütz auch aus der Tatsache ersehen, daß Jadlowker niemals an seinen Tisch kam, ohne eine volle Flasche in der Hand zu haben. Nun, das konnte noch zu den vorschriftsmäßigen Abzeichen eines Wirtes gehören. Aber, wenn Jadlowker, von dem Eibenschütz genau wußte, daß er falsche Gewichte hatte, noch fragte: »Wie geht es Ihrer gnädigen Frau?«, so glaubte der Eibenschütz es nicht mehr ertragen zu können, und um es ertragen zu können, bestellte er mehr Schnaps. Er trank, er trank, bis zum Morgengrauen. Längst schon schnarchten schwer und fürchterlich die Deserteure unter den Tischen und auf den Tischen. Der Morgen graute zwar noch nicht, aber er war schon zu ahnen, als sich der Eibenschütz erhob. Onufrij gab ihm das Geleit. Immer in dem
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