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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht
Autoren: Joseph Roth
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liebe keine Skandale. Und was noch – und was noch? – Ich will nicht mehr zu Jadlowker gehen – außer Dienst, versteht sich. Und wenn ich einmal außer Dienst hingehe, dann nur mit dem Wachtmeister Slama. – Nein, außer Dienst werde ich nicht mehr hingehen. Dabei bleibt es.

XII
    Dabei blieb es nicht. Zwar wurde der Schreiber Nowak nach Podgorce versetzt; zwar schlief, neben dem Dienstmädchen, in der Küche die Frau Eibenschütz: aber die dienstlichen Besuche in der Grenzschenke, in Begleitung des Wachtmeisters Slama allerdings, mehrten sich auffallend.
    Der Winter kam, und es war ein unerbittlicher Winter. Die Spatzen fielen von den Dächern, überreifen Früchten ähnlich, die im Frühherbst von den Bäumen fallen. Sogar die Raben und Krähen schienen zu frieren, so dicht beieinander hielten sie sich auf den dürren Zweigen. Das Thermometer zeigte an manchen Tagen zweiunddreißig Grad. In solch einem Winter fällt es einem Menschen einfach schwer, ohne Heim zu sein. Allein im großen Frost stand der Eichmeister, wie der einsam kahle und frierende Baum im Hof der Bezirkshauptmannschaft vor dem Fenster des Amtszimmers. Es war ein neuer Schreiber gekommen, ein träger, dicker und gutmütiger Jüngling, der sehr langsam arbeitete, aber Behaglichkeit verbreitete. Am behaglichsten war es überhaupt im Amtszimmer. Das Ofentürchen strahlte rötliches Licht aus, die beiden Lampen grünes. Die Papiere sogar raschelten vertraulich. Aber was dann, wenn der Eichmeister Eibenschütz das Amt verläßt? In seinem kurzen Schafspelz, mit hoch aufgeschlagenem Persianerkragen, in den hohen Kniestiefeln steht er da, neben einer der zwei Laternen, die vor der Bezirkshauptmannschaft brennen. Sie brennen sehr ärmlich und gelb, die Nachtlämpchen, dem leuchtenden Schnee im Park gegenüber. Lange Zeit steht der Eichmeister Eibenschütz so da und überlegt. Er überlegt, wie es jetzt aussehen wird, wenn er nach Hause kommt. Der Ofen ist geheizt, der Tisch gedeckt, der Rundbrenner leuchtet, auf der Ofenbank hockt die gelbe Katze. Verweint und finster geht die Frau sofort bei der Ankunft des Mannes in die Küche. Das Dienstmädchen, auch diese finster und verweint, denn sie teilt Tränen und Klagen mit der Hausfrau, schneuzt sich mit dem Schürzenzipfel, mit der linken Hand stellt sie den Teller vor Herrn Eibenschütz. Nicht einmal die Katze kommt heran wie einstmals, um sich streicheln zu lassen. Auch sie hegt Feindschaft gegen Eibenschütz. Aus ihren gelben Augen leuchtet der Haß. Trotz alledem beschließt der Eichmeister, nach Hause zu gehen. Er stampft entschlossen mit den schweren Stiefeln durch den knirschenden Schnee, durch die tote Nacht, die von unten her, vom Schnee, erhellt wird. Kein lebendiges Wesen wahrzunehmen. Man hat nichts zu befürchten, man braucht sich nicht zu schämen, wenn man gelegentlich eine kleine Weile vor einem der Häuschen stehenbleibt und durch die Ritzen der Fensterläden in die fremden Wohnungen hineinlugt. Es ist noch früh am Abend. Oft sitzen die glücklichen Leute noch zusammen. Manchmal spielen sie Domino. Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Kinder und Kindeskinder gibt es in den Häusern. Sie essen, sie lachen. Manchmal weint ein Kind, aber auch Weinen macht selig, ohne Zweifel! Manchmal bellt ein Hund aus dem Hof, denn er wittert den spähenden Eibenschütz. Auch dieses Kläffen hat noch etwas Heimliches, Liebliches beinahe. – Eibenschütz kennt nun schon alle Familien des Städtchens und wie sie leben. Er bildet sich gelegentlich ein, es sei für einen Eichmeister gut, nützlich, ja sogar erforderlich, etwas Näheres über die Kaufleute zu erfahren, »Personalkenntnisse« nennt er das. Nun geht er weiter. Jetzt ist er vor dem Haus. Sein Schimmel hört ihn kommen und wiehert freundlich. Ein liebes Tier. Der Eichmeister kann sich nicht halten, er geht in den Stall, er will den Schimmel nur streicheln, er denkt an die glückliche Zeit beim Militär, an all die Pferde, rückwärts, im Hintergebäude der Kaserne, er erinnert sich noch an alle Namen und auch an ihre Gesichter. Jakob hat er seinen Schimmel genannt. »Jakob!« ruft er leise, als er in den Stall kommt. Der Schimmel hebt den Kopf. Er stampft zwei-, dreimal mit dem rechten Huf auf das feuchte Stroh. Eibenschütz geht heran, eigentlich nur, um ihm »Gute Nacht« zu sagen, aber plötzlich kehrt er um, sagt, wie zu einem Menschen: »Einen Moment, bitte!« und geht in den Schuppen, und holt den Schlitten und führt das Pferd hinaus
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