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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht
Autoren: Joseph Roth
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lang schwieg er, gegen seine Frau und gegen den Josef Nowak. Dann aber sagte er unvermittelt zu diesem: »Haben Sie den Ring eingelöst?«
    »Ja«, antwortete der Schreiber – er heuchelte frohe Genugtuung.
    »Sie brauchten sich nicht zu schämen«, sagte Eibenschütz. »Ich täte Ihnen gern das Geld vorstrecken!«
    »Offen gestanden«, murmelte der Schreiber – und er spielte jetzt Verwirrung wie vorher Freudigkeit.
    »Aber mit Vergnügen, mit Wonne!« sagte der Eichmeister. Er gab dem jungen Mann ein hartes Fünf-Kronen-Stück, nachlässig, wie etwa einen Bleistift oder eine Zigarette. Dann hub er leutselig an: »Unter uns Männern, Herr Nowak, sagen Sie, wo treffen Sie denn in solch einem kleinen Städtchen die Dame? Das muß man doch sehen?«
    Erheitert und aufgefrischt durch so viel Freundlichkeit seines Vorgesetzten, erhob sich der Vertragsbeamte vom Stuhl. Vor ihm saß Eibenschütz nicht unähnlich einem Schüler. Es war Spätherbst und später Nachmittag. Zwei ärarische Petroleumlampen, gestellt von der Bezirkshauptmannschaft, brannten milde unter ihren grünen, gütigen Schirmen.
    »Sehen Sie, Herr Eichmeister«, begann der Schreiber, »im Frühling und im Sommer ist es sehr leicht. Man trifft sich da im Grenzwald. Ach, wenn ich Ihnen erzählen wollte, Herr Eichmeister, mit welchen Frauen ich da zusammengekommen bin! Aber Sie wissen, daß nirgends so sehr Schweigen geboten ist wie in diesen Affären. Im Herbst und im Winter ist es schwieriger, aus dienstlichen Gründen. Im ganzen Bezirk ist nur die Grenzschenke des ›wilden Leibusch‹ als Aufenthaltsstätte für Liebende geeignet. Und Sie wissen selbst, Herr Eichmeister, daß er ein sehr gefährlicher Mann ist und daß ich Sie oft dort vertreten muß. Das Amtsgewissen vor allem, das Amtsgewissen geht voran!«
    »Das ist sehr brav«, sagte der Eichmeister Eibenschütz. Und er vergrub sich in seinen dienstlichen Papieren. Am Abend um sechs Uhr, als der Dienst zu Ende war, sagte der Eichmeister zu seinem Schreiber: »Sie können gehen! Und viel Glück bei den Damen!«
    Der Schreiber machte eine Verbeugung, die beinahe wie der Knicks eines kleinen Schulmädchens aussah, und verschwand.
    Der Eichmeister aber blieb noch länger sitzen, allein mit den zwei grünbeschirmten Lampen. Es schien ihm, als könnte er mit ihnen sprechen. Wie Menschen waren sie, eine Art lebendiger, milder, leuchtender Menschen. Er hielt eine stille Zwiesprache mit ihnen. »Halte deinen Plan ein«, sagten sie ihm, grün und gütig, wie sie waren. »Glaubt ihr wirklich?« fragte er wieder. »Ja, wir glauben es!« sagten die Lampen.
    Der Eichmeister Eibenschütz pustete sie aus und ging nach Hause. Er ging durch einen spätherbstlichen, kalten Regen, der ihn noch einsamer machte, als er war, in ein Haus, in dem ihn eine Lüge erwartete, die noch düsterer war als dieser Abend, als dieser Regen.
    Als er ankam, war zum erstenmal sein Haus finster. Er schloß die Tür auf. Er setzte sich auf das giftgrüne Plüschsofa im sogenannten »Salon« und wartete im Dunkeln. In diese Gegend kamen keine Zeitungen von gestern und vorgestern, sondern Zeitungen, die mindestens eine Woche alt waren. Eibenschütz kaufte sie niemals. Die Vorgänge in der Welt gingen ihn gar nichts an.
    Das Dienstmädchen hatte ihn kommen hören. Jadwiga hieß sie. Sie kam herein, breit, selbstgefällig und mütterlich, in das Dunkel des Zimmers. Sie berichtete ihm, während sie die Tischlampe entzündete – gegen seinen Willen, aber er war zu müde, um es ihr zu verbieten –, daß die Frau einkaufen gegangen war – und bald zurückkommen würde. Und sie hätte auch hinterlassen, er möchte geduldig warten.
    Er drehte den Docht der Lampe ab, so klein, daß es beinahe im Zimmer aussah wie Finsternis. Er dachte an seinen Plan.
    Als seine Frau zurückkam, erhob er sich, küßte sie und sagte ihr, er wäre sehr unruhig gewesen, weil er sie so lange erwartet hatte. Sie hatte Pakete in beiden Armen. Sie legte sie ab. Sie setzten sich beide an den Tisch.
    Sie aßen in einer scheinbar freundlichen und friedlichen Gemeinschaft. Der Frau Regina erschien es wenigstens also. Sie benahm sich gefällig, diensteifrig sogar. Von Zeit zu Zeit lächelte sie ihrem Mann zu. Er bemerkte, daß sie wieder ihren Ring mit dem falschen Saphir am Finger hatte.
    »Du hast deinen Ring wieder!« sagte der Eichmeister. »Das freut mich!«
    »Ich glaube«, sagte die Frau Regina und beugte sich über den Teller, »ich kriege endlich ein
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