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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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lebte nur dafür, dass nicht alles im Chaos versank.
    Das Schlimmste für Dad war, dass ich darauf bestand, unseren Namen zu ändern. Er war stolz auf seine irische Abstammung, stolz auf den Namen Flanegan. Aber es gab keine Möglichkeit. Wir waren auf der Flucht. Und wir durften keinen von unseren Verwandten und Freunden damit hineinziehen.
    Die ersten Tage kamen wir in billigen Motels unter, irgendwo direkt am Highway. Wir ernährten uns an Imbissbuden auf schmutzigen Parkplätzen. Wir wuschen uns auf den dreckigen Toiletten. Und mieden die großen Städte. Der Weg führte uns über Nevada, Utah, Nebraska, bis wir schließlich nach Wochen in Virginia landeten. Einem kleinen Kaff in der Nähe von Charlottesville, wo Dad einen Job fand. Für Mom war es am schlimmsten. Sie wollte unbedingt in Jacobs Nähe bleiben. Dad dagegen hatte seit dem Tag des Amoklaufs nur noch einen Sohn, und das war ich.
    Als ich die Einladung an das Grace College erhielt, brach für ihn zum zweiten Mal eine Welt zusammen. Er wollte unbedingt festhalten, was er noch hatte.
    Während meine Eltern also zweitausend Meilen von Jacob trennten, so brauchte ich nur fünfhundert Meilen, um ihn zu besuchen. Was ich nie getan hatte.
    Aber jetzt hatte ich viele Fragen, die ein einziges Telefonat von zehn Minuten, mehr stand Jacob nicht zu, nicht beantworten konnte.
    »Dav?«
    Die Stimme traf mein Innerstes und ich konnte eine Zeit lang nichts sagen. Er klang wie früher. Einfach unverwechselbar mein Bruder. Ich war froh, dass ich auf meinem Bett saß. Andernfalls hätte die Wucht der Gefühle mich umgehauen.
    »Du bist es doch, Dav, oder?«
    »Ja«, sagte ich.
    Wir schwiegen.
    Jacob sprach als Erster wieder. »Die Frage ist, was du von mir willst, Kleiner.«
    Er war sieben Minuten älter als ich. Das hatte er immer betont. Er war der Erstgeborene, ich nur seine Kopie.
    Ich konnte immer noch nichts sagen. Jacob sprach für mich. Er übernahm die Führung. Auch das wie früher.
    »Ich könnte dir davon erzählen, wie leid es mir tut, was passiert ist. Aber das werde ich nicht.«
    »Darum geht es mir nicht.«
    »Ach und ich dachte, du wolltest darüber reden.«
    »Nein.«
    Wieder eine Pause. Dann sagte er: »Vic, sie wusste sofort, dass ich nicht du war.«
    Ich nahm das Handy vom Ohr, als könne er meine Gedanken lesen. Die Fragen, die auf mich einstürmten.
    »Dav, bist du noch dran?«
    »Ja.«
    »Sie wollte keinen Keil zwischen uns treiben, aber ich …«
    »Hör auf!«
    »Okay.«
    »Ich will nichts davon wissen.«
    »Dann ist das jetzt nicht das ultimative Gespräch? Hast du keinen Psychiater, der dir das einredet? Der von Reinigung der Seele spricht? Die Psychologen sind Betrüger. Bauernfänger. Ich geh nicht mehr hin. Es gibt keine Reinigung. Nicht für einen wie mich.«
    Das Gespräch verlief nicht so, wie ich es erwartet hatte.
    »Geht es dir gut?«, hörte ich Jacob schließlich fragen.
    »Ja.«
    »Ist mir wichtig. Musst du mir glauben.«
    »Okay.«
    »Ich hab gehört, was bei euch passiert ist. Kein Wunder, bei der Presse. Lauter Geier, die hier über meinem Bunker kreisten. Brachte mir viel Ärger ein.«
    Dafür würde ich mich garantiert nicht entschuldigen.
    »Aber du hast es geschafft, Mann. Bist am College. Selbst wenn da ziemlich viel los zu sein scheint.«
    »Genau darum geht’s.«
    »Warst du jemals wieder auf der Jagd?«
    »Nein.«
    »Du hast es gehasst, stimmt’s?«
    Etwas in mir löste sich. Tränen traten mir in die Augen.
    »Sei nicht zu hart zu Mom und Dad. Sie können nichts dafür.«
    »Jacob, hör mir zu.«
    »Ich tue nichts anderes.«
    »Diese Briefe, die du geschrieben hast …«
    »Postkarten, Dav, ich bin kein großer Schriftsteller, wie du weißt.«
    »Warum hast du die geschrieben?«
    »Na ja, Sentimentalität, nehme ich mal an. Zu viel Zeit zum Nachdenken.«
    Das war nicht die Antwort, die ich erwartet hatte.
    »Aber warum Tom?«
    »Tom?«
    »Du hast ihm geschrieben.«
    Stille am anderen Ende. Es klopfte an der Tür und Robert steckte den Kopf herein. Ohne Brille, nur mit Kontaktlinsen, hatte er etwas Eulenartiges an sich. Seine Augen schienen doppelt so groß. Ich vermisste seine Brille.
    Ich hob das Handy und Robert zog sich aus dem Zimmer zurück.
    Jacob hatte etwas gesagt, was ich nicht verstanden hatte.
    »Was hast du gesagt?«
    »Kosmische Störungen bei euch dort oben?«
    »So etwas Ähnliches.«
    Wie schnell Jacob es schaffte, den alten, vertrauten Ton wiederzufinden.
    »Grace College. Das ist der Name,
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