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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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der Intensivstation gelegen, bis sie ihn mit dem Hubschrauber zurückgebracht hatten. Auch er wurde vor den Reportern hier versteckt.
    »Dein Leben lang«, erwiderte ich. »Denn eigentlich müsstest du tot sein.«
    »Warum haben Sie mich nicht auf der Intensivstation gelassen?«, stöhnte Chris.
    »Weil du die Konstitution eines Ochsen hast«, erklärte Julia. »Und habe ich dir nicht immer gesagt, eines Tages wirst du mir dankbar sein?«
    »Wofür?«
    »Dass ich dich zum Joggen gezwungen habe.«
    »Ruhe«, schaltete sich Mrs Briggs ein. »Selbst die Bewegung der Stimmbänder bedeutet Anstrengung.«
    Ich verdrehte die Augen und war mir sicher, Chris tat dasselbe.
    Der Vampir war ein Segen, wenn es darum ging, die Wunde zu versorgen oder die Bettwäsche zu wechseln, aber sie war offensichtlich davon überzeugt, allein ihre Anwesenheit würde zu unserer Genesung beitragen. Weshalb wir erleichtert aufatmeten, als sie endlich das Zimmer verließ. Doch als sie die Tür hinter sich schloss, verfielen wir – ich, Rose, Chris und Julia – in tiefes Schweigen.
    Noch immer gingen wir ungeheuer vorsichtig miteinander um. Im Grunde genommen machten wir es uns zu einfach, indem wir kein Wort über den Wahnsinn äußerten, den Tom verbreitet hatte. Aber ehrlich gesagt, wer wollte es uns verübeln? Wir hatten alle denselben Terror durchlebt. Er klebte für immer an uns, hatte sich in unser Gehirn, das bekanntlich nichts vergisst, eingenistet. Und würde dortbleiben. Kein Chirurg, nicht einmal der beste Neurochirurg, konnte die Erinnerung daran entfernen. Obwohl ich, so viel war sicher, genau dafür kämpfen würde. Ein Gehirn, das war nichts als Struktur, Physik und Chemie. Eines Tages würde es möglich sein, Erinnerungen dauerhaft zu löschen. Und ich hatte vor, dafür den Nobelpreis zu bekommen.
    Doch solange ich noch nicht wieder, oder besser noch nicht, in der Lage war, meine eigenen Forschungen zu diesem Thema durchzuführen, war ich auf herkömmliche Methoden angewiesen.
    Jeder hatte es begriffen, sogar Tom. Aber nicht ich. So ehrlich war ich zu mir selbst. Solange Chris in Lebensgefahr geschwebt hatte, konzentrierte sich alles darauf, ihn zu retten. Doch als er endlich nach einer Woche die Augen aufschlug und Julias Namen nannte, spätestens dann war uns allen klar, er würde überleben. Und das Interesse wandte sich mir zu.
    Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was schlimmer war. Die Anfragen der Presse, die eine Beharrlichkeit zeigte, dass sich meine nicht vorhandenen Haare sträubten, oder die ständigen Blicke meiner Freunde. Der Augenkontakt war die einzige Möglichkeit gewesen, sich zu verständigen. Dagegen wirkte die Gebärdensprache wie die Kommunikation zwischen Neandertalern. Ich musste nur in Roses Augen schauen, um ihre Fragen zu entschlüsseln wie einen Geheimcode.
    »David? Wir haben darüber geredet«, sagte sie jetzt.
    Ich musste nicht fragen, worüber. Plötzlich hoffte ich, dass der Vampir zurückkommen würde.
    »Wir haben über Jacob und dich geredet«, erwiderte sie und Chris fügte hinzu: »Der, dessen Name nicht genannt werden darf.«
    »Keine Filmzitate«, protestierte Julia und meinte es ernst. Verdammt ernst.
    »Kein Interesse«, murmelte ich.
    »Lügner«, entgegnete Chris.
    »Und wenn?«
    Wir verfielen wieder in Schweigen.
    »Schlimmer kann es schließlich nicht werden«, murmelte Chris.
    Mir war klar, was er damit meinte. Es konnte nur besser werden oder so bleiben, wie es war.
    Und ja, es gab Fragen, die ich hatte. Zum Beispiel, warum Jacob Tom geschrieben hatte. Aber ich wusste auch, jede Antwort, die ich erhielt, würde wieder alles aufwühlen. Diesen ganzen Bodensatz an Gefühlen. Am liebsten wollte ich einfach zu dem David zurückkehren, der ich hier im Tal gewesen war. Oder besser, den ich mir vorgenommen hatte zu sein. Der mit dem Heiligenschein.
    »Vergiss deinen Heiligenschein«, las Chris meine Gedanken. »Außer dir kann ihn sowieso niemand sehen.«
    Aber ich hatte ihn gerettet, den Heiligenschein, oder? Ich war mir treu geblieben. Ich hatte keinen einzigen Schuss aus Toms Waffe abgegeben. Das hatten die Spurensicherung und die Obduktion ergeben. Nicht ich hatte die Explosion ausgelöst, in der falschen Fernbedienung hatte man einen Selbstauslöser gefunden. Aber die Details interessierten mich nicht. Mir ging es um das Ganze.
    Ich holte tief Luft, fühlte, wie das Blut in der Wunde pochte und meine Hände schweißnass wurden. Ich wollte nicht verstehen, was Tom – und Jacob –
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