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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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getrieben hatte. Nein, mich interessierte nur, wie das Ende des Films ausgesehen hätte, wenn Tom bis zum Schluss Regie geführt hätte.
    »Ich soll dir das von Benjamin geben«, sagte Rose und reichte mir ein DIN-A4-Blatt.
    Ein Blick genügte und ich begriff, dass Chris und Julia Bescheid wussten.
    »Woher hat er das?«
    »Benjamin ist nicht in den Bus gestiegen, er hat sich in letzter Sekunde davongeschlichen. Er hat mit angehört, dass es Tom war, der uns in der Gewalt hatte. Daraufhin ist er in den Bungalow, gerade noch rechtzeitig, bevor die Spurensicherung dort alles auf den Kopf stellte. Er hat eine ganze Mappe voll Briefe entdeckt, die dein Bruder an Tom geschickt hat.«
    »Dann weiß niemand davon?«
    Das Krankenzimmer fiel in tiefes Schweigen.
    »Das ist ein Beweismittel.«
    »Robert sagt, das ist okay.«
    »Robert?«
    »Lies es einfach«, knurrte Chris vom Nebenbett aus.
    Es handelte sich um einen einfachen Computerausdruck.
    Betreff: Die Rolle deines Lebens.
    Du musst nur richtig hassen können, Tom. Dann ist es ganz einfach. David hat das nie gekonnt. Hassen. Das ist ein Fehler. Ich muss dir nicht erklären, dass eine Waffe nichts weiter ist als ein mechanisches Hilfsmittel, in deinem Fall eine Requisite. Bedeutend ist nur, auf wen du sie richtest. Dein Gegenüber gibt dir die Begründung, wenn du abdrückst. Es handelt sich um eine reine Kopfsache. Eine Philosophie. Eine Fantasie. Aber was hat die Fantasie für eine Berechtigung, wenn sie nicht Realität wird? Also fürchte dich nicht. Das ist ein Stoff für die Tragödien, die unsterblich machen. Deine Seele geht nur in einen anderen Zustand über. Vertrau mir. Ich weiß es.
    Jacob Flanegan
    Und dann noch ein Zitat: Immer zwei es sind! Ein Schüler und ein Meister!
    »Verstehst du nicht, David? Dein Bruder stand mit Tom in Kontakt. Sie haben das Ganze zusammen geplant.«
    Ich griff nach dem Papier, und noch während ich es überflog, wusste ich, dass etwas daran nicht stimmte.
    Wir hatten unsere eigenen Geheimnamen.
    Noch nie im Leben hatte mein Zwillingsbruder mich David genannt.
    Und Jacob hätte nie ein Zitat aus Star Wars benutzt.
    »Viel zu lernen du noch hast.«
    Er hasste Klugscheißer.
    Er hasste Leute, die ständig Yoda zitierten.
    Sie hatten recht.
    Ich musste dringend mit Jacob sprechen.
    Jacob, der in unserer Sprache Jaco hieß.

28. Im Zeichen des Bären
    Es dauerte über eine Woche, bis ich es schaffte, die Nummer des Gefängnisses herauszufinden, sieben Tage, um eine Gesprächserlaubnis zu erhalten, und noch einmal drei, um tatsächlich anzurufen.
    Es war Samstagvormittag und ich war aus einem Traum erwacht, der eine völlige Kopie der Ereignisse am 11. März gewesen war. Ich wachte schweißgebadet auf und konnte mich lange nicht beruhigen.
    Als ich damals beim Anblick von Vics Vater aus der Schule geflüchtet war, kamen mir Schüler entgegengerannt und brüllten: »Sie haben ihn. Sie haben ihn gefasst. Er wollte sich erschießen, aber sie haben ihn vorher überwältigt. Es ist Flanegan, Jacob Flanegan.«
    Als sie mich erkannten, verstummten sie, kehrten um und liefen in die andere Richtung davon. In diesem Augenblick begriff ich noch nicht, was diese Reaktion zu bedeuten hatte.
    Jedenfalls drehte ich mich zum Haupteingang der Schule. Und dann sah ich, wie sie ihn abführten. Die Polizisten hielten seinen Kopf nach unten gedrückt, sodass ihm nur der Blick auf den Asphalt blieb. Und die Mündung einer Waffe bohrte sich in seine rechte Stirn. Wäre alles anders gekommen, hätte ich einen Blick mit ihm gewechselt? Denn irgendwann war es doch einmal so gewesen, dass es genügt hatte, dass wir uns in die Augen sahen, um einander zu verstehen. Aber so lag zwischen uns ein tiefes Tal. Oder besser ein Abgrund. Eine Schlucht, wie wir sie aus den Rockies kannten.
    Was dann folgte, wollte ich zuerst nicht wahrhaben. Es dauerte keinen Tag, da stand ein Aufgebot an Journalisten und Kamerateams vor unserer Tür. Zwei Tage, bis die Fenster zertrümmert wurden. Am dritten Tag verließen wir die Stadt. Es war nicht unsere Entscheidung. Wir hatten keine Wahl.
    Wir ließen alles zurück – das Geschäft, Grandpas alte Bibliothek, alles, was uns wichtig war. Wir lösten alle Konten auf. Trugen das gesamte Geld mit uns herum. Benutzten keine Kreditkarten mehr. Wir taten alles, damit die Presse uns nicht verfolgen konnte.
    Jeder Tag danach verging und ein neuer begann. Ich ertrug die endlose Abfolge von Tagen, indem ich das tat, was getan werden musste. Und
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