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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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oder?«
    »Ja.«
    »Erinnerst du dich an das Bild bei Grandma?«
    Ich war verwirrt. Jacobs Gedanken sprangen von einem Thema zum anderen. Und er schaffte es tatsächlich, dass ich ihnen folgte, obwohl ich das Gefühl nicht loswurde, in einer Achterbahn zu sitzen.
    »Welches Bild?«
    »Es hing im Flur vor dem Wohnzimmer.«
    Ich versuchte, mich zu erinnern. Familienfotos. Mein Dad auf der Jagd in Missoula. Kinderfotos von Jacob und mir. Mit grün-weiß gestreiften Hüten am St. Patrick’s Day.
    »Welches genau meinst du?«
    »Das weiße Gebäude. Wo Grandpa vor dem Säuleneingang steht.«
    Eine blasse Erinnerung. Ziemlich blass. Mein Großvater, der tagaus, tagein mit dem gleichen Buch in seinem Arbeitszimmer gesessen hatte, war gestorben, als Jacob und ich neun Jahre alt gewesen waren.
    »Ja.«
    »Erinnerst du dich an Grandpa Callum? Ich weiß noch, wie Dad ihn gehasst hat, weil er immer betont hat, Mom hätte etwas Besseres verdient als einen Anstreicher.«
    »Was ist mit dem Bild?«
    »Das Eingangsportal … er war dort oben, verstehst du?«
    »Wo?«
    »In eurem Höllental. So haben sie es im Montana Standard genannt. Liest du keine Zeitung? Wir in Hardin werden zugeschüttet mit Presse, musst du wissen. Washington Post. New York Times. Wir hier sind die am besten informierte Bevölkerungsgruppe in ganz Montana. Und ich habe so viel Zeit hier. Bis zu meinem Tod.«
    Ich wollte nicht daran erinnert werden, dass er sein Leben lang in diesem Gefängnis bleiben musste. Er war dem Todestrakt nur entgangen, weil genau zu diesem Zeitpunkt in Montana eine heftige Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe geführt wurde.
    »Was hat Grandpa mit dem allen zu tun?«
    »Ich hab das mal nachgeschlagen. Er hat euer College geleitet. Irgendwann in den Siebzigern. Aber da hatte es einen anderen Namen.«
    »Solomon College?«
    »Richtig.«
    Ich ließ für einen Moment das Handy sinken. Mein Großvater hatte das College geleitet, als die Studenten in den Bergen verschwanden? Mein Magen hob sich und es war gut, dass ich noch nichts gegessen hatte. Und selbst wenn ich nur daran dachte, hatte ich bereits den Geschmack von Eiern, Schinken und Zwiebeln im Mund. Ich würde heute in jedem Fall auf das Frühstück verzichten.
    Aber darum ging es jetzt nicht. Es ging nicht mehr um die Vergangenheit, sondern nur darum, was passiert war.
    »Die Briefe an Tom«, erinnerte ich Jacob. »Ich muss wissen, was zwischen euch passiert ist.«
    »Welcher Tom?«
    »Tom Levinski.«
    »Ah, der Typ, der glaubte er, er könne meine Geschichte benutzen, um … Was genau wollte er?«
    Das musste er fragen? Gerade er?
    »Aber du hast Tom geschrieben. Du hast ihn dazu gebracht, seinen Plan durchzuziehen.«
    »Hab ich nicht.«
    »Ich habe die Briefe gesehen.«
    Benjamin hatte sie mir mit den Worten überreicht: »Sie gehören jetzt dir.«
    Aber ich hatte sie nicht gelesen. Hatte sie zerreißen wollen oder im Kamin verbrennen, bis schließlich Robert sie an sich genommen hatte.
    »Ich kenne den Namen Tom Levinski nur aus der Zeitung und ehrlich gesagt, war er mir nicht sympathisch. Er war jemand, der sich von den Gefühlen anderer ernährt hat. Er hat dich benutzt. Genau wie mich. Ein Scheißparasit.«
    Und dann wurde es mir schlagartig klar. Die Briefe waren wie die falsche Bombe eine Requisite gewesen. Nicht echt, sondern nur eine miese Fälschung. Und ich fragte mich jetzt, ob Tom das gewusst hatte.
    »Aber ich habe sie hier«, sagte ich trotzdem. »Die Adresse stimmt. Sie sind unterschrieben mit deinem Namen.«
    »Hör zu, Dav. Ich habe noch keinen einzigen Brief geschrieben, seit ich hier bin. Postkarten, ja. Aber ich lebe hinter Gittern. Ich schicke Mom den Speiseplan, damit sie beruhigt ist, dass ihr Sohn täglich ein warmes Mittagessen erhält. Was aber sollte ich sonst berichten? Was hier passiert, wollt ihr dort draußen gar nicht wissen.«
    »Du hast geschrieben, dass du zum Sprecher der Gefangenen gewählt worden bist …«
    »Stimmt.«
    »Du hast eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht …«
    »Yes. Ich mache hier noch Karriere.«
    Wie hätte Tom das wissen können, wenn er es nicht von meinem Bruder erfahren hatte?
    Ich hörte Stimmen im Hintergrund. Jacobs Stimme war noch dieselbe, aber sein Tonfall hatte sich geändert und seine Sprache.
    »Mr President«, hörte ich ihn sagen, »ich rede seit drei Jahren zum ersten Mal mit meinem Bruder, verstehen Sie? Meinem eineiigen Zwilling. Aber die Natur ist nicht fair. Sie verteilt ihre Gaben
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