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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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brachte den Boden zum Beben. Orangefarbene Blitze erschienen vor meinen Augen. Und Tom explodierte vor meinen Augen.

27. Im Zeichen des Halbmondes
    Die Sonne, die dabei war, hinter den Bergen zu verschwinden, glühte. Ich schloss die Augen und hörte zu, wie Julia und Chris miteinander sprachen.
    Es würde noch lange dauern, bis die Bilder in meinem Kopf verschwanden. Und erst jetzt verstand ich, was Tom mit Kopfkino gemeint hatte. Die ganze Szene, die nur Augenblicke gedauert hatte, sie hatte sich auf meiner Netzhaut eingebrannt. Sobald ich die Augen schloss, kehrte sie zurück.
    Zusehen zu müssen, wie ein Mensch explodierte, gehört zu dem Schrecklichsten, was man erleben kann. Tom wurde von der Bombe, die er in der Außentasche seines Mantels getragen hatte, getötet. Was wir für die Fernbedienung gehalten hatte, war in Wirklichkeit die Bombe gewesen. Das ergaben die Untersuchungen der Spezialisten.
    Ich weigerte mich, darüber zu reden. Wehrte mich gegen alle Versuche, das Unaussprechliche in Worte zu fassen. Und ich war überzeugt, dass das richtig war. Die Außenstehenden sollten sich das Schreckliche nicht vorstellen müssen. Was hätte es für einen Sinn gehabt?
    »Es gab einen Knall und dann war überall Qualm.« Mehr erfuhr die Presse nicht von mir, und soweit ich weiß, redete auch keiner der anderen über diesen Albtraum. Dabei hatten wir kein Schweigegelübde abgelegt. Ich wäre auch in den Tagen danach nicht in der Lage gewesen, so etwas von dem Rest der Gruppe zu verlangen.
    Es war verrückt. Die Fenster im Prüfungsraum hatten der Explosion standgehalten. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt, aber ich dachte danach, es wäre in diesem Fall besser gewesen, sie wären nicht schusssicher gewesen. Andernfalls wären wir nicht isoliert gewesen von der Außenwelt. Die Polizei und die Sicherheitskräfte hätten die Möglichkeit gehabt, den Raum zu stürmen. Und wenn nicht die beiden Sicherheitsbeamten ganz am Anfang durchgedreht und im Flur geschossen hätten, vielleicht hätte Rose dann nicht den Alarmknopf gedrückt. Wenn … Möglicherweise … Vielleicht … Das Unglück kann man nicht vorhersehen. Nicht planen. Und ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass Tom seinen Tod in Kauf genommen hatte. Obwohl ich mir einbildete, dass der letzte Blick aus seinen Augen Verwunderung bedeutete. Dieser Bombenfake auf dem Tisch und die echte Bombe in seiner Tasche – war das auch Teil seines Spiels gewesen? Ein Plan, der den Zuschauern das ultimativ überraschende Ende bescheren sollte?
    Die Wahrheit würden wir nie erfahren. Spekulationen gab es viele.
    Aber ich persönlich glaube, dass er es nicht gewusst hatte. Ich war davon überzeugt, dass Tom es ernst gemeint hatte mit seinen letzten Worten.
    Ich bin nicht derjenige hier, der stirbt.
    Die Explosion hatte mich zu Boden gerissen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Sanitätsstation. Die versengten Haare und Augenbrauen hatte man mir abrasiert. Ich hatte eine Wunde am Hals davongetragen, wo mich ein Teil des Heizkörpers getroffen hatte. Ein Stück Metall, das die perfekte Form eines Parallelogramms besaß, wie Robert mir versicherte.
    »Du siehst aus wie ein Zombie«, sagte Rose, als sie mich besuchte.
    »Das macht ihn endlich richtig sympathisch«, hörte ich Chris murmeln. Er lag in demselben Zimmer, doch im Gegensatz zu mir war er an zahlreiche Geräte angeschlossen.
    »He, Alter, ich habe dein Leben gerettet«, hörte ich mich krächzen. Meine Lunge war noch immer verseucht vom Rauch, der sich infolge der Explosion entwickelt hatte. Gegen jedes Wort, das ich sprach, revoltierten meine Stimmbänder.
    »Kein Wort, außer Sie haben Hunger, Durst oder müssen an einen bestimmten Ort, um sich zu erleichtern.« Mrs Briggs, der Vampir, bückte sich und zog mein Bettlaken gerade. Nicht weil es nötig war, sondern weil es das Einzige war, was sie in diesem Moment für mich tun konnte.
    Ich glaube, der wirkliche Grund, weshalb man mich nicht in eine Klinik gebracht hatte, war, dass man mich hier oben im Tal von der Außenwelt isolieren konnte. Ich war der perfekte Augenzeuge und ein echter Fund für die Presse. Ich hätte gerne darauf verzichtet.
    »Wie lange stehe ich dafür in deiner Schuld.« Chris seufzte, den Blick zur Decke gewandt. Er durfte sich nicht einmal zur Seite drehen. Wie ich vermutet hatte, war die Kugel vom Sternum abgeprallt und hatte sich in den linken Lungenflügel gebohrt. Es war ein Wunder, dass er überlebt hatte. Er hatte neun Tage auf
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