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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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möglichen wunderbaren und unerwarteten Gegenden öffnen würden.
    Am Samstag morgen meldeten zwei Kellnerinnen sich krank. Romy machte sich einen Vermerk für die Lohnabrechnung. Dann rief der Buchhalter an; sie suchte in ihren Akten nach den Antworten auf seine Fragen. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren; es gelang ihr nicht, mit ihren Gedanken bei der Arbeit zu bleiben. Wie sollte sie das alles mit einem Kind schaffen? Obwohl sie nun seit drei Jahren ein Dreißigzimmerhotel leitete; obwohl sie, solange sie erwachsen war, ihre Familie unterstützt hatte; obwohl sie mit Johnnie Fitzgerald fertig geworden war und Zurückweisung und Ausgrenzung ertragen und überlebt hatte, geriet sie bei dem Gedanken an Schwangerschaft und Geburt in helle Panik und fühlte sich völlig verloren.
    Gegen Mitte des Vormittags brachte einer der Pagen es fertig, auf dem Weg vom Foyer zum bestellten Zimmer den Schminkkoffer einer Frau zu verlieren, die gerade angekommen war. Während sie die wütende und hysterische Frau besänftigte, sie davon abbrachte, die Polizei zu rufen, dachte sie: Und Caleb? Wie würde Caleb reagieren, wenn sie ihm sagte, daß sie ein Kind erwartete? Sie zweifelte keinen Moment daran, daß Caleb sich wie ein Ehrenmann verhalten würde, aber hätte er nicht vielleicht das Gefühl, in der Falle zu sitzen? Würde sie in seiner Stimme, in seinem Blick Erschrecken entdecken oder, schlimmer noch, Widerwillen? Mehrmals rief sie an diesem Morgen bei ihm zu Hause an, aber er meldete sich nicht.
    Der Schminkkoffer war nach zehn Minuten wieder da. Dann schaute Terry zur Tür herein, um sich zu erkundigen, ob sie schon Aushilfskellnerinnen gefunden hatte. Eines der Zimmermädchen kam, um sich über eine Kollegin zu beschweren. Ein Kind, dachte Romy, während das Mädchen in einem fort plapperte. Ein Kind, im nächsten Sommer.
    Terry erschien wieder. »Linda hat sich geschnitten. In die Hand. Jetzt fehlen uns also drei Kellnerinnen.«
    Carol kam in Panik hereingelaufen. »Romy, ich glaube, Mandy hat die Hochzeitssuite zweimal vergeben.«
    Das Zimmermädchen redete immer noch.
    Ihre Stimmen umschwirrten Romys Kopf. Sie schienen immer lauter zu werden, immer fordernder ihre ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Miss Cole, ich muß wissen, wie es mit den Kellnerinnen aussieht … Romy, soll ich Mandy sagen, daß sie das blaue Zimmer den Scotts geben soll und die Hochzeitssuite den Marriotts? Oder anders rum? … unmöglich zwei Restaurants mit gerade mal vier Kellnerinnen … Und die Bäder, Miss Cole! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sie die Bäder hinterläßt  …
    Romy stand auf und ging aus dem Zimmer. Die drei Zurückgebliebenen verstummten verblüfft. Sie stellte sich vor, wie sie mit aufgerissenen Augen und offenen Mündern dastanden, schockiert über die Brüskierung.
    Im Gehen packte sie ihre Handtasche, riß ihren Mantel vom Haken und lief die Treppe hinunter ins Foyer und von dort zur Tür hinaus. In dem kleinen Park auf dem Platz setzte sie sich auf die Bank und sog tief die kalte Luft ein. Sie erinnerte sich, wie sie das Trelawney das erste Mal gesehen hatte. Sie hatte Blutergüsse im Gesicht gehabt und nur eine Handvoll Kleingeld in der Tasche. Mrs. Plummer hatte sie aus der Gosse geholt. Sie hatte sie gerettet und ihr eine Chance gegeben. Was würde Mrs. Plummer sagen, wenn sie jetzt mit ihr sprechen könnte? Was würde Mrs. Plummer sagen, wenn sie ihr erklärte, daß sie des Hotels müde war; daß sie genug hatte von den Ansprüchen, die es an sie stellte; genug von den Gutwetterfreunden, die sie im Stich gelassen hatten, als sie sie am dringendsten brauchte; genug von dem Kampf um gesellschaftliche Anerkennung, die ihr einmal so wichtig gewesen war und jetzt alle Wichtigkeit verloren hatte? Was würde Mrs. Plummer sagen, wenn sie ihr gestehen würde, daß sie keinen Spaß mehr am Hotel hatte, und zwar schon seit geraumer Zeit? Würde Mrs. Plummer, die sich immer wieder neu erfunden hatte, sie dafür verurteilen, daß sie sich entschlossen hatte, einen neuen Anfang zu wagen?
    Sie stand von der Bank auf und ging ohne einen Blick zurück nach Soho. Sie erinnerte sich ihres ersten Besuchs dort. Sie war neunzehn Jahre alt gewesen und hatte die meisten Dinge, die im Schaufenster des Delikatessengeschäfts gelegen hatten, nicht einmal vom Sehen gekannt. Sie hatte nie Espresso getrunken, war nie in einer Kneipe oder einem Nachtlokal gewesen. Sie war ein armes kleines Ding gewesen, so eng und beschränkt wie
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