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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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müssen. Von den Schulen, aus denen er rausgeflogen war, von den Jobs, die er immer wieder verloren hatte, und von den zwei elenden Jahren beim Militär. Am Ende hatte er Mike auch alles über Ray Babbs und seine Gefängnisstrafe erzählt. Und noch während er gesprochen hatte, war etwas Merkwürdiges geschehen. Es war gewesen, als fiele ihm eine Last von den Schultern, und er hatte regelrecht das Gefühl gehabt zu wachsen. Als hätte ihn jahrelang etwas Schweres niedergedrückt und ihn gezwungen, die Augen gesenkt zu halten.
    Und noch merkwürdiger war gewesen, fügte er hinzu, daß Mike sich kein bißchen aufgeregt hatte. Er hatte Jem nur auf die Schulter geklopft und gesagt: »Tja, in der Jugend machen wir alle mal dummes Zeug.« Und dann hatte er Jem ein Bier angeboten. Jem hatte lieber Apfelsaft genommen, und sie hatten glücklich und zufrieden in der Küche der Greens gesessen und getrunken und geraucht und nicht viel gesprochen.
    »Und was ist mit dem kleinen Jungen?« fragte Romy. »Und mit Sandy?«
    »Dem Jungen geht’s gut«, antwortete Jem. Seine Stimme schien etwas Gedrücktes zu bekommen. Sandy hatte den Ausflug in den Fluß nur ein paar Tage überlebt. Der Tierarzt hatte Jem erklärt, daß die Anstrengung und der Kälteschock für das Herz des alten Hundes zuviel gewesen seien. Jem hatte ihn an der Ecke eines Feldes begraben.
    »Ach, Jem«, sagte sie.
    »Ist schon gut. Er war ja schon ein bißchen in die Jahre gekommen.«
    Sie schwiegen beide. Schließlich sagte sie: »Jetzt gibt es doch eigentlich keinen Grund mehr, warum du Danny nicht zu dir nehmen solltest, was meinst du, Jem?«
    Sie spürte beinahe, wie er all seinen Mut zusammennahm, um den ersten riesigen Schritt ins Selbstvertrauen hinein zu wagen. Es war schlimmer, als in den Fluß zu springen.
    »Vielleicht könnte ich’s mal probieren«, sagte er dann. »Mal sehen, wie es klappt mit uns beiden.«
    Sie packte Dannys Sachen zusammen und half Jem, sie im Wagen zu verstauen. Die Kleider, die Spielsachen, die Bilderbücher und den hohen Hocker, den sie gekauft hatte, damit Danny mit am Tisch sitzen konnte, als er seinem Babystühlchen entwachsen war. Als sie Danny zum Abschied in die Arme nahm und an sich drückte, schloß sie fest die Augen, um sich besser an ihn erinnern zu können. An seinen Geruch, an seinen kleinen Körper, an sein Gewicht in ihren Armen.
    Als sie abgefahren waren, ging sie nach oben in ihre Wohnung. Sie hörte das Tropfen eines Wasserhahns und das Ticken der Uhr. In Dannys Zimmer waren die Schubladen und Regale leer, das Bett abgezogen bis auf die Matratze. Sie sollte sich freuen, sagte sie sich. Sie hatte das doch immer gewollt.
    Aber sie empfand nur Leere. Sie dachte an den Tag, an dem sie Danny ins Trelawney gebracht hatte. Wie ängstlich sie gewesen war, mit welchem Schrecken sie sich plötzlich der Verantwortung bewußt geworden war, die sie da auf sich genommen hatte. Sie dachte daran, wie sie in den folgenden Wochen langsam zueinandergefunden hatten, sie und Danny; wie er ihr ihre Ungeschicktheit verziehen und sie gelernt hatte, seine Bedürfnisse zu erkennen. Sie erinnerte sich an sein erstes Lächeln, seine ersten Schritte, seine ersten Worte. Wie aus dem Säugling langsam ein kleiner Junge geworden war. Was ihn zornig und was ihn glücklich gemacht hatte. Wie er, wenn sie am Embankment spazierengegangen waren, in seinem Kinderwagen auf und ab gehüpft war und dabei getutet hatte wie die Schiffe auf dem Fluß.
    Sie hätte ihre Augen nicht zu schließen brauchen, um die Erinnerung festzuhalten. Er war bei ihr und würde immer bei ihr sein, und seine Abwesenheit jetzt war beinahe zu grausam, als daß sie sie ertragen konnte.
    Sie ging zu Johnnie Fitzgerald. Er saß an seinem Ecktisch im Manhattan. Die grellen Bühnenlichter zeigten das aufgedunsene Gewebe um die Augen, die Schwammigkeit der Kinnpartie. Seine Finger hatten gelbe Nikotinflecken, und auf seinen Wangen verästelten sich die ersten geborstenen Äderchen. In fünf Jahren würde er nur noch ein häßlicher alternder Trinker sein.
    Sie sprach laut, um die Band zu übertönen, und gebrauchte Wörter, die sie kaum noch verwendete, seit sie Stratton verlassen hatte, um ihm zu sagen, was sie von seinem geschäftlichen Vorschlag hielt. Sein Blick verlor die hämische Selbstzufriedenheit, sein Gesicht verlor die Farbe. Als sie fertig war, sagte sie: »Tun Sie, was Sie wollen, Mr. Fitzgerald – es ist mir wirklich egal. Aber eines sollen Sie wissen: Sie sagten,
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