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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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wiederauftauchte.
    Noch einmal gedreht, und Romy ging den Fahrweg hinauf, der nach Middlemere führte. Es war ein klarer blauer Sommertag, und sie schob einen Kinderwagen; einen großen, marineblauen, altmodischen Kinderwagen, der holpernd durch die Furchen sprang. Obwohl das Baby im Wagen ruhig schlief, hielt Romy ab und zu an und schaute nach, ob es gut lag, klappte das Verdeck hoch, als das Sonnenlicht zu grell wurde, zog das Mützchen mit den schmalen rosa Schleifchen zurecht. Sie strich mit der Fingerspitze über die Wange des Babys, dessen Haut sich anfühlte wie der weichste Samt. Nie hatte sie jemanden so sehr geliebt wie dieses Kind. Das Herz tat ihr weh vor lauter Liebe.
    Aber der Kinderwagen war schwer zu schieben. Sie war selber noch klein und reichte nicht viel weiter als bis zum Griff hinauf. Die Arme taten ihr weh. Sie kam immer langsamer vorwärts. Wasser stand in den Schlaglöchern, und der Anstieg wurde immer steiler. Sie wußte, daß sie bald oben ankommen mußte, aber jetzt stellten sich ihr plötzlich hohe Bäume in den Weg. Sie konnte Middlemere nicht sehen. Die Himmel hatte sich verdunkelt, das Tal lag jetzt im Schatten. Ihr kam der Gedanke, daß sie vielleicht irgendwo falsch abgebogen war und sich verlaufen hatte, daß sie vielleicht nie wieder nach Hause finden würde. Und als sie wieder in den Kinderwagen schaute, sah sie, daß er leer war. Sie hatte wohl nicht richtig aufgepaßt, und das Baby war irgendwo unterwegs auf der holprigen Fahrt aus dem rumpelnden Wagen gefallen.
    Das Läuten des Telefons riß sie aus dem Traum. Nachdem sie den Anruf erledigt hatte, bat sie Carol, ihr Tee zu bringen. Hinter ihren Augen brannten noch Tränen, die Angst und der Schmerz über den Verlust des Kindes klangen noch nach. Der Säugling, vermutete sie, war Danny gewesen, wenn auch das Kind im Wagen kleiner und zarter gewesen war. Sie träumte von kleinen Kindern, sagte sie sich, weil Danny ihr fehlte.
    Doch irgend etwas versetzte sie in Unruhe. Es hatte etwas mit Babys zu tun. Sie hatte sich in letzter Zeit des öfteren dabei ertappt, daß sie in fremde Kinderwagen schaute und mit den kleinen Kindern von Gästen scherzte, was eigentlich so gar nicht ihre Art war. Als sie Anfang der Woche Psyche besucht hatte, war sie hingerissen gewesen von ihrer elf Monate alten Tochter. Psyche hatte den Verdacht, wieder schwanger zu sein; ihre letzte Periode war ausgeblieben, und morgens war ihr fast immer übel.
    Morgens war ihr fast immer übel … Romy erstarrte, die Teetasse in der Hand. Es gab gewisse Dinge, auf die eine Frau achten mußte, aber vor lauter Angst und Sorgen hatte sie in den letzten Monaten alles schleifen lassen. Sie holte ihren Taschenkalender heraus und begann hastig zurückzublättern; vier, fünf – o Gott – sieben Wochen – sieben  –, seit sie zuletzt ihre Periode gehabt hatte.
    Sie setzte sich an den Schreibtisch und rechnete noch einmal nach. Sie konnte nicht schwanger sein. Ausgeschlossen. Doch gar nicht so ausgeschlossen, wenn man bedachte, wie sie und Caleb einen großen Teil ihrer Zeit miteinander verbracht hatten.
    Aber doch nicht jetzt! Nicht ausgerechnet jetzt, wo sie gerade wieder Boden unter die Füße bekam. Sie, Romy Cole, konnte unmöglich in diese uralte Falle getappt sein wie ein dummes Ladenmädchen!
    Der Brief kam mit der ersten Post am Samstag morgen. Er war von Evelyn Daubeny. Sie teilte Caleb mit, daß Osborne Daubeny im Sterben lag und ihn noch einmal sehen wollte.
    Sein erster Impuls trieb ihn dazu, den Brief zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu werfen. Aber das brachte er nicht über sich. »Er hat nur noch kurze Zeit zu leben«, hatte Evelyn Daubeny geschrieben. Der Tod war etwas so Endgültiges, Absolutes. Er ließ einem keine Zeit, es sich anders zu überlegen. Die verschlungene Geschichte der Daubenys, Heskeths und Coles war, dachte Caleb, von einer Unfähigkeit zu verzeihen durchwirkt; es war Zeit, daß jemand dieses Muster durchbrach.
    Als er aus London hinausfuhr, dachte er an Romy. Ich kann dich jetzt nicht heiraten , hatte sie gesagt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich eigentlich will . Danach hatte er versucht, für sie zu denken. Er hatte telefoniert, Besuche gemacht. Er wollte ihr zeigen, daß sie Möglichkeiten hatte, daß sie die Wahl hatte. Daß sie nicht auf dem einen Weg ausharren mußte, den sie einmal eingeschlagen hatte. Daß ihr viele Wege offenstanden, die in Neuland führten, die ihr alle
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