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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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ich wäre wie Sie, aber da haben Sie sich gründlich geirrt. Ich habe gelernt, andere zu lieben, Sie haben nie jemanden geliebt außer sich selbst. Sie behaupten, Sie hätten Mrs. Plummer geliebt, aber Sie wissen gar nicht, was Liebe ist. Liebe ist, die Bedürfnisse des anderen vor die eigenen zu stellen. Liebe ist zu wissen, wann man loslassen muß. In ihren letzten Lebensmonaten wollte Mrs. Plummer Sie nicht mehr sehen. Sie hat Sie geliebt, Mr. Fitzgerald, Sie hätte Ihnen alles gegeben, aber Sie haben ihr immer wieder das Herz gebrochen. Und am Ende haben Sie es ihr eben einmal zu oft gebrochen. Denken Sie daran, Mr. Fitzgerald, und denken Sie auch daran, daß Sie selbst Mrs. Plummers Liebe zu Ihnen getötet haben – Sie, nicht ich!«
    Ein paar Leute klatschten, als sie hinausging, und ein wütend geschleudertes Glas zersprang laut klirrend auf dem Boden. Sie lief die schmale Treppe hinauf und zur Tür hinaus an die kalte, frische Luft.
    George Everett rief sie an. Er hatte mit einem Freund gesprochen, einem Finanzier, der angeboten hatte, ihr ein kurzfristiges Darlehen zur Verfügung zu stellen. »Der Zins wäre allerdings etwas höher«, sagte er, »aber es würde Ihnen helfen, die Flaute zu überbrücken, denke ich.«
    Die Gästezahlen im Hotel hatten angefangen, wieder zu steigen, Brasserie und Restaurant waren besser besucht. Offenbar begannen die Leute zu vergessen. Skandale verloren wohl schnell ihren Kitzel, und dann mußte etwas Neues her. In den oberen Zimmern war alles Holz, das von der Trockenfäule befallen gewesen war, entfernt und ersetzt worden. Die Handwerker hatten damit begonnen, das nackte Mauerwerk zu verputzen und die neuen Fensterbänke und Sockelleisten zu lackieren.
    Es schien ihr jetzt wieder möglich, das Hotel zu retten – wenn sie nicht übermütig wurde, wenn keine neuen Katastrophen sich ereigneten. Sie machte weiterhin Einsparungen, sprang selbst ein, wenn es an Personal fehlte. Sie gab das Geld vorsichtig aus, drehte jeden Penny zweimal um. Sie wußte, wie nahe sie dem Abgrund gekommen waren und wie leicht es wieder geschehen konnte.
    Eigentlich hätte sie froh und glücklich sein müssen, daß das Trelawney die Krise überstanden hatte, doch statt dessen fühlte sie sich erschöpft und krank. Ganz gleich, wie lange sie schlief, irgendwie kam sie den ganzen Tag nicht auf die Beine, und an zwei Tagen war ihr morgens so übel, daß sie sich übergeben mußte. Wahrscheinlich hatte sie sich irgendeine dumme Infektion geholt.
    Und das Hotel bescherte ihr wie immer eine niemals abreißende Folge kleinerer Probleme, die sie früher einmal gereizt hatten, sie heute aber nur noch verdrossen. Mit einer Art verbissener Gewissenhaftigkeit arbeitete sie nach wie vor häufig bis in die Nacht hinein, aber sie merkte selbst, daß sie für die Fehler und Schwächen anderer keine Geduld mehr aufbrachte. Unzufriedene Gäste und untüchtige Angestellte brachten sie in zähneknirschende Rage. Sie konnte beim besten Willen kein Interesse mehr dafür aufbringen, ob im Restaurant Steinbutt oder Rochen serviert wurde, ob die Anstreicher die Sockelleisten weiß oder cremefarben lackierten.
    Sie vermißte Danny, der sich inzwischen in Yorkshire eingelebt hatte. Sie telefonierte einmal in der Woche mit ihm und schrieb ihm Briefe, die Jem ihm vorlesen mußte. Sie fühlte, daß er sich ihr entfremdete, und wußte, daß er sich bald nicht mehr an seine frühen Jahre in London erinnern würde. Sie vermißte Caleb, den sie in den letzten Wochen nur selten gesehen hatte. Ich habe ihn vergrault, dachte sie unglücklich, er hat genug von mir. Sie konnte es ihm wirklich nicht verübeln; sie wußte ja selbst, daß sie gereizt und schnippisch war und daß es keinen Spaß machte, mit ihr zusammenzusein.
    Eines Nachmittags, als sie über den Speiseplänen für die kommende Woche saß, wurden ihr die Lider schwer. Ihre Gedanken begannen zu wandern und zu verschwimmen, die Speisekarten, auf denen bis eben noch ganz vernünftige Dinge wie Schweinebraten und Tournedos gestanden hatten, verzeichneten jetzt Gerichte, die sie in ihrer Kindheit während des Krieges gegessen hatte: Steckrübengemüse und Kohlsuppe, Fasan und Kaninchen, die ihr Vater geschossen hatte. Einmal kurz das Kaleidoskop gedreht, und sie balgte sich mit Annie Paynter. Ein schneller Stoß, und Annies Kopf landete in der Pferdetränke, aus der sie wie am Spieß schreiend und mit angeklatschten blonden Locken, aus denen das schmutzige Wasser strömte,
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