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Das Erbe der Elfen

Das Erbe der Elfen

Titel: Das Erbe der Elfen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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verwundeten Pferdes nicht mehr hört, das Tosen der Flammen, die Schreie der Menschen, die ermordet werden, und das Dröhnen der Trommeln, nichts von all dem nimmt sie wahr. Das Einzige, was es gibt, was zählt, was Bedeutung hat, ist die Furcht. Die Furcht, die die Gestalt eines schwarzen Reiters mit einem federgeschmückten Helm angenommen hat, reglos vor der roten Wand von lodernden Flammen.
    Der Reiter spornt das Pferd an, die Flügel des Raubvogels an seinem Helm flattern, der Vogel setzt zum Flug an. Zum Angriff auf das wehrlose, von Furcht gelähmte Opfer. Der Vogel – oder vielleicht der Ritter – schreit, gellend, schrecklich, grausam, triumphierend. Schwarzes Pferd, schwarze Rüstung, wehender schwarzer Mantel, und hinter allem Feuer, ein Meer von Feuer.
    Furcht.
    Der Vogel schreit. Die Flügel schlagen, die Federn schlagen gegen das Gesicht. Furcht.
    Zu Hilfe! Warum hilft mir denn niemand? Ich bin allein, ich bin klein, ich bin wehrlos, ich kann mich nicht bewegen, ich kriege nicht einmal einen Schrei aus der verkrampften Kehle heraus. Warum kommt mir niemand zu Hilfe?
    Ich habe Angst!
    Die Augen funkeln durchs Visier des großen gefiederten Helms. Der schwarze Mantel verdeckt alles  ...
    »Ciri!«
    Sie erwachte schweißgebadet, starr, und ihr eigener Schrei, der Schrei, der sie geweckt hatte, klang, vibrierte noch immer mitten in ihr, unterm Brustbein, brannte ihr in der ausgetrockneten Kehle. Es schmerzten die in die Decke verkrampften Hände, es schmerzte der Rücken  ...
    »Ciri. Beruhige dich.«
    Ringsum war Nacht, eine dunkle und windige Nacht, die eintönig und melodisch die Wipfel der Föhren rauschen, die Stämme knarren ließ. Da war kein Feuer mehr und kein Geschrei, nur jenes rauschende Wiegenlied. Nebenan waberten Licht und Wärme des Lagerfeuers, die Flammen glänzten auf den Schnallen des Zaumzeugs, spiegelten sich rot auf Griff und Scheide des Schwertes, das an dem auf dem Boden liegenden Sattel lehnte. Es gab kein anderes Feuer und kein anderes Eisen. Die Hand, die ihre Wange berührte, roch nach Haut und Asche. Nicht nach Blut.
    »Geralt  ...«
    »Es war nur ein Traum. Ein böser Traum.«
    Ciri begann heftig zu zittern, zog Arme und Beine an.
    Ein Traum. Nur ein Traum.
    Das Lagerfeuer war schon heruntergebrannt, die Birkenscheite waren rot und durchscheinend, sie knisterten, und blaue Flammen schossen hervor. Die Flammen erleuchteten die weißen Haare und das scharfe Profil des Mannes, der Decke und Mantel über sie breitete.
    »Geralt, ich  ...«
    »Ich bin bei dir. Schlaf, Ciri. Du musst dich ausruhen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    Ich höre Musik, dachte sie plötzlich. In diesem Rauschen  ... ist eine Musik. Lautenmusik. Und Stimmen. Kleine Prinzessin aus Cintra. Kind der Vorsehung  ... Kind des Älteren Blutes, des Elfenblutes. Geralt von Riva, der Weiße Wolf, und seine Vorherbestimmung. Nein, nein, das ist eine Legende. Von einem Dichter erfunden. Sie lebt nicht mehr. Sie wurde in den Straßen der Stadt erschlagen, als sie fortging  ...
    Halt dich fest  ... Festhalten  ...
    »Geralt?«
    »Was ist, Ciri?«
    »Was hat er mit mir gemacht? Was ist damals geschehen? Was hat er  ... mit mir gemacht?«
    »Wer?«
    »Der Ritter  ... Der schwarze Ritter mit Federn am Helm  ... Ich kann mich an nichts erinnern. Er schrie  ... und schaute mich an. Ich weiß nicht mehr, was geschehen ist. Nur, dass ich Angst hatte  ... so schreckliche Angst  ...«
    Der Mann beugte sich herab, die Flammen des Lagerfeuers spielten auf seinen Augen. Das waren seltsame Augen. Sehr seltsame. Früher einmal hatte sich Ciri vor diesen Augen gefürchtet, nicht gern hineingeschaut. Doch das war lange her. Sehr lange.
    »Ich kann mich an nichts erinnern«, flüsterte sie und suchte seine Hand, die hart und rau war wie unbearbeitetes Holz. »Dieser schwarze Ritter  ...«
    »Es war ein Traum. Schlaf ruhig. Das kommt nicht wieder.«
    Ciri hatte derlei Versicherungen schon oft gehört, früher. Man hatte es ihr viele Male gesagt, sie wieder und wieder beruhigt, wenn sie mitten in der Nacht von ihrem eigenen Schrei erwacht war. Doch jetzt war es anders. Jetzt glaubte sie es. Weil es jetzt Geralt von Riva sagte, der Weiße Wolf, der Hexer. Der ihre Vorherbestimmung war. Dem sie vorherbestimmt war. Der Hexer Geralt, der sie inmitten von Krieg, Tod und Verzweiflung gefunden, sie mit sich genommen und versprochen hatte, dass sie sich nie mehr trennen würden.
    Sie schlief ein,
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