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Das Elfenportal

Titel: Das Elfenportal
Autoren: Herbie Brennan
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nicht verhungert wirkte. Henry gefiel das, auch wenn sie gerade wie eine Leiche aussah. Wer sah morgens nicht erst mal wie eine Leiche aus?
    Er schaufelte sich Cornflakes in den Mund. »Wo ist Papa?«, fragte er. »Ist er gestern Abend noch gekommen?« Manchmal blieb sein Vater über Nacht weg, wenn er lange arbeitete. Als Henry sich gestern Abend schlafen gelegt hatte, war er noch nicht da gewesen. Aber Henry war auch früh ins Bett gegangen. Bei Mr Fogarty war es derart anstrengend gewesen, dass er kaum noch die letzten Teile von seinem Schwein hatte zusammenkleben können.
    Eine Sekunde lang glaubte er in den Augen seiner Mutter etwas zu sehen. Dann war es wieder weg, auch der leere Blick war verschwunden, und sie sagte beiläufig: »Aber ja. Er wird wohl gleich kommen.«
    Das glaubte Henry auch. Sein Vater musste den Zug kriegen und konnte Gehetze nicht leiden. »Was hast du heute vor, Mama?« Sie war Rektorin der örtlichen Mädchenschule, aber die hatte über die Sommerferien zu.
    »Eigentlich nichts«, sagte seine Mutter.
    Henry fragte sich, ob er sich wohl auch jeden Morgen in einen Zombie verwandeln würde, wenn er erst mal in ihr Alter kam. Er aß seine Cornflakes auf und füllte noch ein paar nach, dann nahm er eine Banane aus der Obstschale. Ihm stand ein weiterer arbeitsreicher Tag bei Mr Fogarty bevor. Kohlenhydrate, die ihre Energie langsam abgaben, konnte er gut gebrauchen.
    Er hörte die Schritte seines Vaters und sah gerade rechtzeitig nach oben, um ihn über den Treppenabsatz zum Bad schlurfen zu sehen. »Hey, Papa!«, rief Henry und wurde mit einem Grunzen belohnt. Als die Badezimmertür zuging, kippelte er mit seinem Stuhl und holte ein Messer aus der Schublade. Er schnitt die Banane in dicke Scheiben – schon komisch, wie sehr sich verschiedene Stärken auf den Geschmack auswirkten –, dann schnitt er auch noch einen Apfel hinein. »Haben wir noch genug Bananen?«, fragte er seine Mutter.
    »Was?«
    »Bananen, Mama. Haben wir genug?«
    Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann sagte sie: »Ja, ich glaub schon.«
    »Kann ich mir noch eine nehmen?« Henry fragte sich, was mit ihr los war. Das hier hatte doch nichts mehr mit ihrer üblichen morgendlichen Leichenstarre zu tun.
    Ihr Blick wanderte zum Treppenabsatz hinauf. »Nimm dir, so viele du willst«, sagte sie leichthin, in einem Tonfall, der üblicherweise Missbilligung signalisierte. Aber wozu sollte sie Wind machen um eine lausige zweite Banane? Er verspürte den vertrauten Anflug eines Schuldgefühls, nahm sich die Banane aber trotzdem und schnitt auch sie in seine Schale. Dann stand er auf und ging zum Kühlschrank, um nachzusehen, ob es noch Erdbeerjoghurt gab.
    Er machte sich gerade mit Appetit über die Mischung her, als sein Vater geduscht, rasiert und in seinem piekfeinen blaugrauen Nadelstreifenanzug aus dem Badezimmer kam. Plötzlich fiel Henry etwas auf. Als sein Vater ins Badezimmer gegangen war, da war er nicht aus dem Schlafzimmer gekommen – sondern aus dem Gästezimmer.
    Oder doch nicht? Henry sah stirnrunzelnd in seine Cornflakes und versuchte sich zu erinnern. Er glaubte, dass sein Vater aus dem Gästezimmer gekommen war, aber er war sich nicht sicher. Warum sollte der alte Knabe auch im Gästezimmer schlafen? Außer er war erst so spät gekommen, dass Mama schon schlafen gegangen war und er sie nicht hatte wecken wollen. Andererseits war er schon oft spät nach Hause gekommen und hatte sich darum noch nie geschert. Vielleicht hatte Henry es falsch mitbekommen. Er hatte ja schließlich nur kurz hochgeguckt.
    »Hey, Papa«, sagte er, als Timothy Atherton in die Küche kam. »Ich hab mein neues Modell zum Laufen gekriegt.«
     
    Irgendetwas stimmte nicht und Henry kriegte nicht raus, was.
    »Kommst du heute auch wieder spät?« Das kam von Mama, ohne Vorbereitung und ziemlich scharf. Vielleicht war sie sauer, weil Papa gestern Abend spät nach Hause gekommen war.
    »Weiß nicht genau«, sagte sein Vater. »Gut möglich.«
    »Tim, wir müssen – « Sie brach ab, und Henry hätte schwören können, dass es an dem warnenden Blick lag, den sein Vater in seine Richtung geworfen hatte.
    »Ich ruf dich an, Martha«, sagte sein Vater knapp.
    Es war nicht das, was sie sagten, denn sie sagten ja nicht viel. Es war mehr der Tonfall. Nicht nur Mamas, sondern der von ihnen beiden. Henry runzelte die Stirn. Vielleicht hatten sie sich gestern gestritten, als Papa nach Hause gekommen war. Henry hatte da längst fest geschlafen: Sie
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