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Die Witzekiste

Die Witzekiste

Titel: Die Witzekiste
Autoren: Michael Lentz
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DIETER THOMA
Ein Vorwitzwort
    Es gibt kaum eine schlechtere Idee, als ein Buch über Witze zu schreiben. Schlechter wäre nur, kein Buch über Witze zu schreiben. Sie würden dann nur im kleinen Kreis bekannt.
    Aufgeschrieben jedoch fehlt dem Witz eine Dimension. Es ist wie beim räumlichen Sehen und bei der Fotografie. Der Witz braucht einen, der ihn erzählt, einen, der ihn hört, und mindestens einen Dritten, der mitlacht. Die drei oder mehr bilden eine geschlossene Gesellschaft. Sie sind Vertraute der Heiterkeit. Das Buch, die Platte oder CD, Fernsehen und Radio können nur zwei Dimensionen bieten. Deswegen haben es Witze dort vergleichsweise schwerer. Sie müssen entsprechend ausgewählt werden.
    Es können ja auch nie alle über dasselbe lachen, dieselbe Pointe witzig finden. Wer Witze erzählt hat, kennt das. Was in der einen Runde einen sensationellen Lacherfolg verbucht, fällt in einer anderen durch, als habe der Erzähler chinesisch gesprochen.
    Sigmund Freud hat gesagt, Witze mache man nicht, sie ereigneten sich. Das können wir leider nicht bieten. Was wir wollen und hoffentlich erreichen, ist, Witz mit Ereignissen zu verknüpfen. Für uns selber konnten wir dabei diese dritte Dimension schaffen. Wir haben jeden Witz zu dritt laut vorgetragen, in seiner Wirkung überprüft und dann erst aufgeschrieben. Wie sagte die Mottenmutter zu ihren Sprösslingen: »Und jetzt zeige ich euch mal, wie man Rotweinflecken entfernt!«
    Das Wort Witz kommt von Wissen. Wenn wir noch sagen: »Der Witz der Sache ist …«, so gehen wir damit auf die ursprüngliche Bedeutung ein. Aber die zwanziger Jahre, als Witze sogar zum Kulturgut gehörten, sind sehr lange vorbei.
    Welche Witze wurden erzählt in den jetzt fünfzig Jahren der Bundesrepublik Deutschland? Und wann? Vielleicht wird der eine oder andere sagen, dass er einen Witz, den wir den Jahren nach 1960 zugeordnet haben, schon früher gehört hat. Es sei ihm gegönnt. Wir können nur unsere eigenen Hörerinnerungen verwerten. Vielleicht waren wir dann gerade hinter unserer Zeit zurück. Auch die Internationalisierung des Witzes führt gelegentlich zu Zeitsprüngen. Manche Details, die unserer Erinnerung entfallen waren, haben wir dann wie gewissenhafte Restauratoren ergänzt.
    Viele beklagen oder bestaunen, wie rasant sich unsere Welt und damit unser Leben verändert. Sie sollten aber auch nicht übersehen, was sich in fünfzig Jahren Bundesrepublik schon alles bewegt hat. Das Fernsehen im Wohnzimmer ersetzte das Familienleben. Das Auto als Verkehrsmittel für jedermann revolutionierte Freizeitgewohnheiten. Der Kunstbegriff wurde völlig neu interpretiert. Wenn wir weitere Beispiele, wie Waschmaschinen, Ölheizungen, Massentouristik und das Zusammenwachsen der Welt durch Flugreisen und nicht zuletzt die »Pille« einbeziehen, hat sich in diesen fünfzig Jahren, in der Zeit eines Menschenlebens, mehr verändert als je zuvor in friedlichen Zeiten.
    Es kommt uns nur nicht mehr so vor, weil wir derzeit in der größten technischen Transformation der Menschheitsgeschichte leben und die Wandlungen der Vergangenheit schon für ein behagliches Zwischenspiel halten. Manchmal hört man vom Fortschritt sogar in fröhlichen Verkürzungen, so durch den Freund, der einem erzählt: »Meine Frau hat jetzt Servolenkung!«
    Wer 1949 jung war, erinnert sich an »Sonntagsanzüge« und familiäre Hausmusik, an häusliche Essordnungen, die ein Stück Fleisch höchstens für den Sonntag vorsahen und Wurst unter Luxus verbuchten; an den wöchentlichen Waschtag der Hausfrau; an nächtliche Fußmärsche in Nachbarstädte, weil sogar ein Fahrrad als Transportmittel fehlte; an das Erstaunen über den alltäglichen Luxus, der ja zunahm, obwohl so unvorstellbar gespart wurde. Eine Tante, bei der ich als Junge zu Besuch war, rief immer, wenn ich zur Toilette mit der neu installierten Wasserspülung ging: »Zieh nicht ab, ich muss auch noch!«
    Verzicht, noch nicht Anspruch, prägte unseren Alltag, Prüderiebeengte jeden Versuch auf Freizügigkeit. Fast alles galt als unmoralisch und verwerflich, was wir inzwischen als selbstverständliche Lebensbedingungen einplanen.
    Der Witz überlebt solche hektischen Zeiten wie in einem Museum, scheint als Kunstform vor Verfall geschützt zu sein. Über die meisten Witze der fünfziger Jahre können wir auch heute noch lachen. Lediglich Scherze über vergilbte Gesellschaftsformen haben sich überlebt. Schnoddrige Offiziere, Dienstboten und alte Jungfern, die
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