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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück
Autoren: dieverse Autoren
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Wort eines Passanten und der Tonfall, mit dem es ausgesprochen wurde, sollen mir behilflich sein, in den Sinn fremder Beziehungen einzudringen. Warum? Ich weiß es nicht. Bisher kommt mir das Leben auf der Erde so vor wie der Fetzen eines zufällig auf der Straße gehörten Gesprächs. Melmoth wird sicher dasselbe Gefühl gehabt haben, daß alles nur bruchstückhaft und nicht zu Ende gesprochen war, denn er war ja in jeder Epoche nur ein Gast, und jedes Jahrzehnt war für ihn ein Hohlraum, den er ausfüllen mußte.
     Ich muß diese Zusammenhanglosigkeit überwinden und darf mich nicht als Gast fühlen.
     Als Gast… Ich bin nur ein Gast auf der Erde. Aber in kurzer Zeit habe ich sehr viel über sie und ihre Menschen in meinem Gedächtnis, das gierig alle Tatsachen in sich aufnimmt. So seltsam es auch sein mag, das Irdische beginnt in mir alles andere zu überwuchern und es zu verdrängen. Doch noch verwunderlicher ist, daß es mir manchmal so scheint, als stamme ich nicht von der Dilnea, sondern als sei ich ein Mensch. Wahrscheinlich zeigt sich darin meine Liebe zu den Menschen und zur irdischen Natur.
     Nachts schreibe ich an einem Buch, das die Überschrift trägt: »Die Naturwissenschaft der Zukunft«. Es verbindet mich mit der Welt und mit jedem einzelnen Menschen auf Erden. Dieses außerordentliche Buch wird das Bewußtsein der heutigen Menschheit um viele Jahrzehnte voranbringen. Der bescheidene Untertitel lautet: »Lehrbuch«. Mein Buch wird die Menschen die Kunst lehren, ihrer Zeit und sich selbst voraus zu sein. Aber wahrscheinlich kommt einmal eine Zeit, da auch mein wissenschaftliches Lehrbuch veraltet sein wird.
     Ich gehe gern durch die Straßen, ich mag nicht fahren. Ich suche den Kontakt mit der Welt, die mich umgibt. Fußgänger sind ganz anders als Fahrgäste. Sie sehen die Welt ganz anders an, Fahrgäste konzentrieren sich innerlich auf ein Ziel, das ihnen ihr Bewußtsein stets vor Augen hält. Sie sind da und sind nicht da. Vom Wirbel der Geschwindigkeit erfaßt, treiben sie in Gedanken Raum, Zeit und ihr »Ich« an. Fußgänger haben keine Eile. Auch ich treibe mich nicht an.
     Diesen Alten da treffe ich oft auf der Uferpromenade. Er hat mich auch schon bemerkt und lächelt mir zu.
     »Guten Abend«, sage ich.
     »Guten Abend.«
     Wir gehen nebeneinanderher. Er ist sehr alt. Vielleicht erinnert er sich noch an die siebziger und sogar an die sechziger Jahre, an den Flug Gagarins, an den ersten Besuch eines Menschen auf dem Mond und dem Mars, an die biologischen und die ästhetischen Diskussionen, die seine Zeitgenossen damals beschäftigten.
     »Zu meiner Zeit«, erzählt der Alte, »gab es viel mehr Fußgänger, aber nicht etwa, weil es die Menschen weniger eilig gehabt hätten. Das Transportwesen war noch zu unvollkommen. Hier fuhren noch Trolleys und Autobusse. Mein Vater hat noch die Pferdebahn gekannt. Ich erinnere mich, wie ich als Kind mit der Eisenbahn von Wladiwostok hierherkam. Die Zeit verging langsamer. Ich stand am Fenster und schaute zu, wie sich die Gegend veränderte. Sind Sie schon einmal auf dem Mars oder dem Mond gewesen, junger Mann?«
     »Ja.«
     »Mein Sohn lacht über die irdischen Entfernungen. Vor kurzem ist er aus dem Kosmos zurückgekehrt, er hat auf dem Mars gearbeitet und ist in der Umgebung der Venus gewesen. Er sagt, bei uns sei es noch wie im zwanzigsten Jahrhundert. Am meisten wundert er sich, wie man die kostbare Zeit durch Gehen verschwenden kann. Er ist in die Geschwindigkeit verliebt. Und er ist fast verzweifelt darüber, daß der menschlichen Technik von den Naturgesetzen eine Grenze gesetzt ist.«
     »Was meint er damit?«
     »Die Lichtgeschwindigkeit. Die kann der Mensch nicht überholen.«
     »Kann man's wissen?« sage ich.
     »Ich verstehe Sie nicht, junger Mann. Drücken Sie sich etwas klarer aus.«
     »Die Menschheit weiß noch sehr wenig über die wirklichen Eigenschaften des Raumes.«
     Der Alte sieht mich mißtrauisch an. »Die Menschheit… Und was sind Sie, etwa kein Vertreter der Menschheit?«
     »Nicht ganz«, antworte ich.
     »Wer sind Sie dann?«
     »Das ist eine andere Frage«, erwidere ich ausweichend.
     Der Alte lacht. »Sie sind ein Original. Und Ihr Gesicht ist auch nicht alltäglich. Seltsam, daß Sie es gar nicht eilig haben. Wie alt sind Sie, junger Mann? Fünfundzwanzig Jahre? Dreißig?«
     »Multiplizieren Sie mit zehn, und Sie irren sich nicht.«
     Warum sage ich das? Wozu? Jetzt kann ich mich nie mehr mit diesem
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