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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Autoren: Walter Kempowski
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war wieder sehr unruhig. Das Artilleriefeuer hörte erst am Morgen etwas auf. Am Tage ging es noch heißer zu. Vom Weiberle heute einen Brief vom 10.3. bekommen, also mehr als 40 Tage unterwegs war der Brief. Es ist der 11. Brief seit 10. Februar. Leider ohne Härchen wie alle Briefe bisher. Die Handwunde heilt recht langsam, muß immer noch verbunden werden. Ich glaubte, es würde schon mit einem Pflasterverband gehen, so muß ich immer noch Binde tragen. Es ist jetzt 22 Uhr. Wir hatten schon wieder Fliegerbesuch; die Burschen haben Sprengbomben geworfen. – Nun gute Nacht, mein Weiberle.
    Der Volkssturmmann Emil Heinze
Breslau
    Am 20. April, Führers Geburtstag, hielt ein Propaganda-Offizier eine Rede, in der er unter anderem über die Verwüstungen von Breslau tröstete: «Ich habe einen Ingenieur gesprochen. In vier Wochen kann eine Straße wie die Albrechtstraße wieder aufgebaut sein.» Dies erweckt bei der Kompanie ein lautes Lachen. Es wurde Beschwerde geführt, daß viele unter der Uniform einen Zivilanzug tragen.
    Der Dramaturg Hugo Hartung 1902–1972
Breslau
    Im großen Seminarsaal findet eine funebre Feier zu Führers Geburtstag statt. Der Oberst hält in etwas hohlem Pathos eine Gelöbnisrede der Siegeszuversicht. Die meisten seiner Offiziere blicken recht skeptisch drein. Wieder werden Orden verliehen und Beförderungen mitgeteilt. Das Positive an diesem Tag ist, daß wir vorzügliches Mittagessen und eine Flasche Wein bekommen. An den Breslauer Stadtfronten bleibt es auch weiterhin verhältnismäßig ruhig.
    Der Fallschirmjäger
Albrecht Schulze-van Loon
(Breslau)
    Unsere Scharfschützen arbeiteten mit allen Tricks, die möglich waren. Einmal hatten sie sich durch die Trümmer in eine Straße geschlichen, in die der Russe mit einem LKW fuhr, um Ablösungen nach vorn zu bringen. Poldi saß links, sein Kamerad rechts von der Straße, die durch einen hohen Geröllwall nicht mehr weiterführte. Als der russische LKW hielt, schoß Poldis Kamerad von rechts. Die Russen reagierten blitzschnell und vernünftig: sie sprangen nach links vom LKW und damit genau unserem Poldi vor die Flinte. Unsere beiden Scharfschützengruppen hatten im Laufe der Kämpfe zusammen etwa zwei Kompanien russischer Soldaten vernichtet.
    Senta Tittmann *1919
Obernigk bei Breslau
    Am 18. April waren 2000 deutsche Gefangene durchgekommen. Sie lagen im Schloßpark. Hildburg und ich gingen nach dem Abendessen mit anderen Frauen zum Kartoffelschälen. Es war ein Anblick, wie auf einer Theaterbühne, alles schemen- und kulissenhaft.
    Vor uns liegt ein riesengroßer Berg Kartoffeln. Links davon stehen drei Gulaschkanonen, die von einem Deutschen bedient werden.
    Im Hintergrund des weiten Gutshofes steht die dunkle Front der hungrigen Gefangenen. Hinter uns steht die Ruine des Schlosses schwarz und anklagend, beleuchtet vom flackernden Schein des Lagerfeuers der Russen. Ein sternenklarer Himmel wölbt sich über uns. Zur bekannten Zeit beginnt das Schauspiel über Breslau. Scheinwerfer, Flak- spuren, Feuersbrunst. Irgendwo sangen Russen – weit klingt es durch die Nacht.
    Die Türen der Feueröffnung sind geöffnet, damit wir etwas Licht für die Arbeit haben. Ein russischer Major gibt mit unangenehmer Stimme Befehle. Wir hatten Gelegenheit beim Vorüberschreiten der Gefangenen an den Gulaschkanonen mit ihnen zu sprechen. «Haltet aus, seid tapfer und bleibt uns gut.»
    Oh, diese Männer, sie wissen gut, welche Gefahr uns droht. Ein Berliner fand sich gleich heraus. Es waren heimatliche Klänge für mein Ohr. Welch ein Schmerz senkte sich ins Herz, wenn wir dabei an unsere eigenen Männer denken.
    Erna Seiler 1906–1990
Tschechoslowakei
    Wir hatten inzwischen gar nicht gemerkt, wie nahe die Russen schon waren und wie betriebsam die Tschechen. Aber wie sollten wir jetzt dort rauskommen, Züge fuhren nicht mehr, Bomben fielen.
    Nun begann etwas, was nur unsere Tante Lena konnte. In Tschaslau waren noch deutsche Soldaten, eine Kaserne voll. Tante Lena ging jeden Tag, ließ sich beim Hauptmann melden und sagte: «Wir haben 11 Kinder, wollen Sie die auf dem Gewissen haben? Bringen Sie uns hier heraus!» Und eines Tages war es dann soweit, Tante Lena bekam den Bescheid. «Morgen geht es im Konvoi von Tschaslau nach Passau. Wir werden über Winterberg fahren und Sie dort abladen. Ein Lastwagen für Sie wird angehängt.» Tante Lena mußte sich von vielem trennen, aber einen alten Schrank (wertvoll) und die Kinderbetten nahm sie mit. Wir hatten
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