Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Unverdächtigen zu Fuß nach Königsberg getrieben, der Rückweg war wieder ein Leidensweg, weil die Frauen immer wieder belästigt wurden. In Königsberg lagen Leichen auf den Straßen, Deutsche, Russen, Pferde, ganze Straßenzüge waren ausgebrannt, so daß in der Stadt und auch auf den Hufen nur noch Häusermauern standen. ich schleppte mich mühsam zu meiner Wohnung und fand ein Nichts, alles ausgebrannt, nur das Treppenhaus stand, und die Heizkörper hingen an den Wänden, sonst nur Schutt und Asche! Ich war innerlich so abgestumpft, daß mich dieser Anblick kaum mehr erschütterte. Schon im Lager hatte ich mich an ein altes Apothekerehepaar angeschlossen und an Herrn Wiehler, und wir vier Personen zogen nun in Herrn Wiehlers Wohnung. Von seinen 5 Zimmern waren 2 Zimmer und die Küche benutzbar, und wir gründeten eine Schicksalsgemeinschaft, die etwas Einmaliges ist.
    Willi Holtzer
Fischhausen bei Königsberg
    In einer kleinen Stube des Bauernhauses verbrachten wir nun die erste Nacht. An der Tür wurden wir von einem Russen bewacht. Es muß um Mitternacht gewesen sein, da weckte mich der Russe mit dem Gewehrkolben und bedeutete mir, ihm zu folgen. Meinen Rucksack mußte ich zurücklassen.
    Er führte mich sodann in eine dunkle Ecke des Hofes. Dort stand unter einem Überbau eine lange, schmale Kiste mit Deckel, in Form eines Sarges. War das eine Falle? Nachdem der Russe an einem Regal hantiert hatte, kam er aus dem Dunkeln hervor mit einer Büchse roter Farbe und einem Pinsel. Mit Handbewegungen befahl er mir, den Sarg rot zu streichen.
    Der Posten entfernte sich in Richtung Unterkunft. Was stand mir nun bevor? Sollte ich versuchen zu fliehen?
    Die Überraschung war noch größer, als der Posten nach kurzer Zeit zurückkam und mich in die Küche führte. Dort hatte die russische Feldküche noch einen reichlich gedeckten Tisch übriggelassen. Durch freundliches Hindeuten wurde ich zum Essen aufgefordert. Sollte das nun meine Henkersmahlzeit sein?
    Beim Essen konnte ich beobachten, daß der nächste Kamerad zum Anstreichen in den Schuppen geführt wurde. Dabei erfuhr ich auch denGrund, warum uns der Posten ohne Gepäck in den Schuppen gebracht hatte. Er hatte auf diese Weise in aller Ruhe unsere Gepäckstücke filzen können. Schweres Gepäck hätte uns wohl auch nur belastet, und vielleicht war doch irgendwo eine «Uhri» versteckt. Diese Sorgen mit der Uhr hatte ich nicht mehr. Ich war dankbar für das gute Essen und einige Kleinigkeiten, die ich in der Küche «gefunden» hatte.
    Klara Gawlick *1907
Königsberg
    Täglich kamen die Russen, um uns noch den Rest unserer Sachen zu nehmen. Einem alten Herrn rissen sie sogar das Jackett von der Schulter. Es war der späte Abend des 19. April, als uns ein russischer Posten von der schweren Tagesarbeit nach Hause brachte. Ein anderer Russe, der uns auf einem Rad entgegenkam, überbrachte uns allen den Befehl, zur Kommandantur zu kommen. Dort wurden wir bis in die Nacht hinein vernommen und dann nach einem unsanften Reißen an der Nase mit der Bemerkung «Nazihunde» in den Keller gesperrt. Darauf teilte man uns mit, wir würden nach Rußland abtransportiert. Meine Angst um meine drei kleinen Kinder, die ja in dem Siedlungshaus zurückgeblieben waren, war unbeschreiblich groß. Am Morgen wurden wir für einige Minuten herausgelassen, um sofort wieder in den Keller gesperrt zu werden. Zum Glück kam ein Russe eines höheren Ranges und befragte uns nach unserer Beschäftigung hier. Auf unser Erzählen und Bitten hin ließ er die Frauen, die kleine Kinder hatten, nach Hause zurückgehen. Über das Schicksal der anderen Personen weiß ich nichts zu berichten.
    *
    Der Musiker Erich Zimmermann 1900–1987
(Heubude)
    Die nächste Zeit verging damit, daß Omi Paula in unserem Keller alle verwühlten und in den Dreck getretenen Lebensmittel zusammensuchte. Es war unsere Rettung, daß dabei noch allerhand zutage kam, auch die Kartoffeln waren noch da und aus meiner Lebensmittelkiste die zwei Gläser mit Fett.
    Wir lebten in einem Haufen von Gerümpel und Verwüstung, und ich bestand darauf, daß Omi Paula das so ließ, – als gute Hausfrau wollte sie natürlich sofort aufräumen – weil unter dem Gerümpel viele für uns wertvolle Sachen lagen, die Omi Paula noch aus ihrer Wohnung hatte holen können. Das verwüstete Aussehen unseres Zimmers war unser bester Schutz. Wenn dann die jeden Tag durch die Häuser streifendenrussischen und polnischen Soldaten auch zu uns kamen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher