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Das Echo der Vergangenheit

Das Echo der Vergangenheit

Titel: Das Echo der Vergangenheit
Autoren: Kristen Heitzmann
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    Rese stand in ihrer Suite, die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie hatte das Chaos ja irgendwie erwartet, hatte mit der Menschenmenge gerechnet, mit dem Lärm, der Überschwänglichkeit. Sie hatte sich sogar eingeredet, sie würde das alles genießen. Aber die Kinder waren außer Rand und Band, die Mütter schimpften, Lance’ Schwager, Cousins und Onkel setzten sich in Pose und Roman knurrte, während Doria alles beherrschte, und so war sie in die relative Einsamkeit ihrer Suite geflohen – relativ, weil Star ihr Zimmer zur Verfügung gestellt hatte und mit einem Futon als Bett und einem Haufen bunter Kleider für das Ambiente das Arbeitszimmer von Rese belegt hatte.
    Star kam jetzt herein und kicherte. »Was tust du gerade?«
    »Ich versuche zu denken.«
    »‚A n sich ist nichts weder gut noch schlimm; das Denken macht es erst dazu.‘«
    »Nicht zu denken ist noch schlimmer.«
    »Hmm.« Sie ließ sich aufs Bett fallen. »Bei mir hat es funktioniert.«
    Rese setzte sich neben sie und lehnte sich an das Kopfteil des Bettes. »Was meinst du, wie lange es dauern wird, bis sie mich vermissen?«
    »Schon eine Weile, würde ich sagen. Sie sind einigermaßen selbstbezogen.«
    Rese lächelte. »Ich hätte nie gedacht, dass das gut sein könnte.«
    »Oh, es ist sehr gut, wenn man versucht, nicht bemerkt zu werden.«
    »Und wie lange wird es dauern, bis Rico dich vermisst?«
    »Auch eine Weile. Er und Lance spielen Handball an der Schuppenwand.«
    »Und reagieren wahrscheinlich Romans Beleidigungen ab.«
    »Was hat es damit eigentlich auf sich?« Star fuhr sich mit den Fingern durch ihre feinen blonden Locken.
    »Er ist nicht Tony.«
    »Wie ist er zuerst darauf gekommen?« Sie zog die Knie an. »Warum können Menschen andere nicht so nehmen, wie sie sind?«
    »Nicht jeder Ort ist wie dieses Haus, Star. Der Großteil der Welt ist wie Roman und erwartet, dass die Menschen so sind wie sie.«
    »Ich werde dieses Gemäuer jedenfalls nie verlassen.«
    »Und was ist, wenn Rico dir einen Heiratsantrag macht?«
    Star sah sie mit ernstem Blick an. »Dann kommen die Frösche weg.«
    Rese schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich Lance und Rico zusammen unter einem Dach länger aushalten würde. Zu viel Testosteron.«
    »Dann ziehen wir eben nach nebenan.«
    Rese runzelte die Stirn. »Hat er …«
    Star kicherte. »Nein.«
    »Aber er will auch niemanden mehr umbringen? Habt ihr euch vertragen?«
    »‚Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang. Sie träufelt wie des Himmels milder Regen zur Erde unter ihr; zwiefach gesegnet: Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.‘«
    »Gut«, sagte Rese und nickte. »Dann streiche ich das Blutvergießen von der Liste meiner Sorgen.«

    * * *

    Matt las die Studie zu Ende und klappte die Psychologie-Zeitschrift zu. Vielleicht ging es ihn nichts an, aber was er gelesen hatte, war wirklich vielversprechend. Bevor Sofie damit anfangen konnte, Carly normale Beziehungskompetenzen beizubringen, musste sie das Trauma überwinden, dass ihr Dad gestorben war und sie selbst und Sofie dabei beinahe auch umgekommen wären. Wenn die in dem Artikel erwähnte Behandlungsmethode nur halb so gut funktionierte, wie die Fallstudien vermuten ließen, könnte dies der Schlüssel sein, der die Kommunikation mit Carly aufschließen konnte.
    Es war einleuchtend, dass das Trauma, ihren Dad in den Tod stürzen zu sehen – und beinahe von ihm mitgerissen zu werden –, sich in einem emotional aufgeladenen Teil des Gehirns eingeprägt hatte, das das Ereignis in lebhaften Einzelheiten heraufbeschwor, wenn irgendetwas die Erinnerung daran weckte oder sie sich bedroht fühlte oder sogar im Schlaf, wo der Zwischenfall Albträume verursachte, während ihr Verstand vergeblich versuchte, das Trauma zu verarbeiten. Es aus dieser Stelle im Gehirn zu lösen, war der Schlüssel. Er lehnte sich zurück. Diese Methode war sicherlich nicht die ganze Lösung, aber vielleicht ein Ausgangspunkt?
    Über Elemente des Traumas zu reden, war normalerweise Teil der Therapie, aber bei entwicklungsverzögerten Kindern und solchen im präverbalen Alter hatten Ärzte eine andere Vorgehensweise gefunden. Die Augenbewegungen von rechts nach links oder andere bilaterale Reize aktivierten das Erinnerungsnetzwerk, in dem das Trauma in erstarrten Details festsaß, und gleichzeitig die Informationsnetzwerke, die dem Kind erlaubten, das Geschehene zu verarbeiten. Das Ziel war es, Angst, Panik, Trauer und Verzweiflung durch ein bestimmtes Maß
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