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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle
Autoren: Scott Westerfeld
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wieder rein.“
    „Was?“ Sie sah zu ihrem Fenster. Sie hatte es offen gelassen und nur die durchsichtige Gardine vorgezogen. „Ich will da nicht wieder rein, solange der … mich beobachtet.“
    „Du musst, Jess. Mitternacht ist bald vorbei. Du willst doch nicht hier draußen geschnappt werden. Du würdest lebenslang Hausarrest bekommen.“
    „Ich weiß, aber …“ Sie sah zu dem Mann hinüber. Es gab Schlimmeres als Hausarrest.
    „Ich werde mich hier nicht von der Stelle rühren“, sagte Jonathan. „Ich werde mich verstecken, bis Mitternacht vorbei ist, und sichergehen, dass er nichts tut.“
    Jessicas Füße waren fest am Boden verankert, die normale Schwerkraft lastete auf ihr.
    „Mach schon, Jess. Ich passe auf ihn auf.“
    Diskutieren hatte keinen Sinn. Der Mitternachtsmond ging unter, und sie wollte nicht in der normalen Zeit durchs Fenster zurückklettern. Wenn der Mann erst mal aus seiner Starre erwachte, war sie drinnen vermutlich sicherer als draußen. Sie berührte Jonathan am Arm. „Also gut. Aber sei vorsichtig.“
    „Alles wird gut gehen, das verspreche ich. Ich rufe dich morgen früh an.“ Diesmal küsste er sie lang und heftig und gab ihr ein letztes Mal von seiner Federleichtigkeit ab. Dann überquerte Jessica die Straße und kletterte durchs Fenster in ihr Zimmer.

    Der peinlich ordentliche Raum kam ihr jetzt kalt vor, ungastlich in dem blauen Licht. Jess fuhr mit den Fingern unter der Fensterbank entlang, wo sie die dreizehn Reißzwecken ertaste-te. In wenigen Minuten waren sie wertlos. Zahlenmagie konnte sie nicht vor dem Mann da draußen schützen. Bald war Demonstration nur noch eine Taschenlampe.
    Sie schloss das Fenster und schob den Riegel vor, dann ging sie durchs Zimmer und sicherte die anderen Fenster.
    Ein Blick auf ihre Uhr bestätigte, dass ihr keine Zeit blieb, alle Schlösser im Haus zu überprüfen, ohne ihre Eltern oder Beth zu wecken. Irgendetwas musste sie aber tun. Sie ging an ihre säuberlich aufgeräumte Schublade mit Schere, Tesafilm und Disketten, fand einen Gummistopper und klemmte ihn unter ihre Tür. Falls jemand versuchen sollte, ihr Zimmer zu betreten, würde er wenigstens ziemlich viel Lärm machen.
    Trotzdem wusste Jessica, dass sie heute Nacht nicht viel Schlaf bekommen würde.
    Auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an der Tür, wartete sie, Demonstration mit beiden Händen fest umklammernd. In der normalen Zeit würde die Flammenwerfersache zwar nicht funktionieren, aber der schwere Stahlgriff der Lampe war besser als nichts.
    Jessica schloss die Augen und wartete auf das Ende der Sicherheit in der blauen Zeit.
    Wieder gab es einen Ruck – sanfter, wie immer, wenn der angehaltene Moment der Mitternacht endete. Der Boden unter ihr bebte, die Welt zitterte, als sie sich wieder in Bewegung setzte.
    Ein Geräusch drang an ihre Ohren, und sie riss die Augen auf, weiß zeichneten sich ihre Knöchel von der Taschenlampe ab. Farbe war ins Zimmer zurückgekehrt. Überall gab es harte Schatten und leuchtende, scharfe Umrisse. Jessica blinzelte in dem plötzlich grellen Licht, während ihre Augen von Fenster zu Fenster schossen.

    Dann entdeckte sie, wo das Geräusch hergekommen war, und seufzte erleichtert. Der Vierteldollar war endlich zu Boden gefallen und hob sich leuchtend vom dunklen Holz ab.
    Jessica kroch zu ihm hin.
    „Zahl“, murmelte sie.

0.01 Uhr morgens
2
    Die normale Zeit senkte sich wie eine Bleidecke auf Jonathan herab.
    Er lag platt auf dem Dach, direkt über dem Mann mit der Kamera. Jonathan hatte Arme und Beine ausgebreitet, um sich auf den Schindeln besser halten zu können, aber als die Schwerkraft zurückkehrte, rutschte er eine schwindelerregende Sekunde lang ab. Ein kratzendes Geräusch ertönte unter ihm, und er fluchte leise.
    Dann hörte Jonathan die Kamera unter sich surren, eine ununterbrochene Folge von leisen Tönen, die zum Leben erwachten. Der Mann hatte Serienbilder geschossen, genau über Mitternacht hinweg. Das hieß nicht Gutes. Aber wenigstens hatte das Geräusch der Kamera sein Abrutschen übertönt.
    Jonathan hob mühsam seinen Kopf. Selbst das Atmen fiel ihm schwer, während er auf der kalten Schindelfläche von der Schwerkraft niedergedrückt wurde. Unter ihm hatte der Mann seine Kamera sinken lassen und auf seiner teuren Uhr, die im

    * Buchtitel von Edwin A. Abbott, Anm. d. Übers.

    Mondlicht glitzerte, nachgesehen, wie spät es war. Er begann, das lange Teleobjektiv auseinanderzunehmen.
    Jonathan schauderte. Das
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