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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere
Autoren: John Burdett
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Prolog
    Der Dieb ging gern mitten in der Nacht in den Seitenstraßen von Knightsbridge spazieren. Das verschaffte ihm ein mittelbares Gefühl von Reichtum und Sicherheit. Andere Orte und andere Personen strebten danach; hier wohnten seit Menschengedenken die Leute, die sozusagen als Arrivierte angekommen oder geboren worden waren. Er hatte nichts gegen sie, kein politisches Interesse an ihnen, diese Phase hatte er schon lange hinter sich. Mittlerweile war seine Auffassung von gesellschaftlicher Ordnung fast hinduistisch; sie gehörten der Kaste der Reichen an, genau wie er, wenn man sich seine Lebensgeschichte betrachtete, zur Kaste der Diebe zählte. Vielleicht war dieses System hoffnungslos, aber es war auch ein System der festen Identitäten: Niemand wurde dazu gezwungen, sich all den Qualen auszusetzen, die ein gesellschaftlicher Aufstieg mit sich brachte.
    Er liebte große Fenster, hohe Decken, weite Räume. In seinem Innern löste sich ein Knoten, wenn er um ein oder zwei Uhr morgens an einem Samstag in der Gegend von Montpelier Gardens, Beauchamp Place oder Egerton Terrace spazierenging, hinaufschaute zu den immer noch erleuchteten Wohnungen, einen Blick erhaschte auf den Luxus drinnen, Mußmaßungen anstellte über die Beziehungen, die um diese Zeit Beleuchtung erforderten. Er konnte sich nicht vorstellen, daß jemand in dieser Gegend jetzt einsam war; er kannte die Viertel Londons, in denen Einsamkeit und Elend endemisch waren, und aus genau diesem Grunde kam er nach Knightsbridge, wo dies mit Sicherheit nicht der Fall war.
    Er war ein Profi. Er stand in einer uralten wechselseitigen Beziehung mit denen, die seinetwegen Riegel und Alarmanlagen einbauen ließen. Er war ein Teil von ihnen. Vielleicht verleugneten sie ihn tagsüber, doch in der Nacht war er ein Archetyp ihrer Träume, ein Hauptthema ihrer Unterhaltungen, ein Posten in ihrem jährlichen Budget. Er verschaffte ihnen die Berührung mit der flüchtigen, kühlen Gefahr, wenn sie nachts um den Häuserblock gingen. Sein Schatten zwang sie, sich zu beeilen, seine Schritte in einer engen Straße, seine Augen, die aus einem dunklen Winkel starrten. Obwohl sie das nie zugegeben hätten und sich kaum dessen bewußt waren, stellte er doch ihre letzte Verbindung zur Dichtkunst dar. Er war der letzte Teil des Unbekannten, entzog sich der Kontrolle. Er war der letzte Faktor, der sie vor dem Schicksal der Nichtssagenden bewahrte.
    Er war ein Spezialist – ein merkwürdig modernes Phänomen; ein Kenner in der Kunst der Spritztour, der sich eingehend mit seinem Thema beschäftigt hatte. Er las Handbücher für die neuesten Autotypen, wenn auch nicht aus wissenschaftlichem Interesse, und studierte Alarmsysteme. Und er war cool. Obwohl er sonst von Nervosität geplagt war, hatte er sich bei der Arbeit absolut unter Kontrolle. Das war auch nötig, denn er suchte sich nie ein unauffälliges Modell aus, das von den zehntausend anderen seiner Art nicht zu unterscheiden war. Seine Stärke war der elegante, der luxuriöse, der exotische Wagen, den die meisten anderen Diebe nicht zu berühren wagten, weil sie schon nach wenigen Minuten von Funkstreifenwagen und Motorradpolizisten erkannt werden würden. Er beobachtete das Auto, das er ausgewählt hatte, führte manchmal eine Woche lang Buch über das Kommen und Gehen seines Besitzers. Das System war zeitraubend, aber es funktionierte. Bis jetzt war er nie erwischt worden.
    Zum Beispiel tauchte eines Freitags gegen Mitternacht vor Grosvenor Mansions ein chilifarbener Porsche 944 S2 auf. Der Besitzer, ein Mann Anfang Vierzig, war offenbar Arzt oder Zahnarzt. Kein Anwalt. Der Dieb kannte die Anwälte und bezweifelte, daß ein Anwalt in diesem Alter noch so eifrig, fast schon naiv, sein konnte. Ein Arzt möglicherweise, der seine Jugend kämpfend und lernend verbracht, zu früh die falsche Frau geheiratet hatte und sich jetzt betrogen fühlte. Wahrscheinlich rechtfertigte er mit diesem Gefühl, etwas versäumt zu haben, seine Seitensprünge. Wohnte er noch bei ihr? Sagte er ihr jeden Freitagabend, er habe Notdienst? Wahrscheinlich nicht. Auch der Porsche war vermutlich etwas, was das Leben dem Arzt seiner Meinung nach schuldete. Der Dieb konnte das verstehen. Und die Freundin? Mit Sicherheit jünger, aber nicht viel jünger. Das Gesicht des Arztes wirkte gleichzeitig intelligent und leidenschaftlich, kritisch und beflissen. Er war kein Mann, der sich in ein junges Mädchen oder einen tollen Körper verknallte. Der Dieb
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