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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle
Autoren: Scott Westerfeld
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schon.“

    Sie überquerten die Stadt auf dem kürzesten Weg, schossen über den staubigen Parkplatz einer verlassenen Autohandlung und auf einem freien Stück die Division Street hinunter. Jessica zog Jonathan wortlos hinter sich her. Es war ihr egal, ob sie am Montag bei dem Test durchfiel oder nicht. Sie hatte so viel Zeit mit Jonathan in Bewegung verbracht, war um ihr Leben gerannt, auf der Flucht vor den geflügelten Wesen, die ausgeschickt worden waren, um sie zu töten. Selbst wenn sie sich ausruhten, balancierte sie mit Jonathan stets auf irgendeinem schwindelerregenden Gipfel – dem Dach eines Gebäudes, einem Getreidesilo oder zwischen den kalten, gefährlichen Verstrebungen eines Elektroturms. Sie wollte einfach mit ihm an einem normalen Ort sein.
    Auch wenn das ihr Zimmer war. In fünfundzwanzig Minuten hätten sie sich ohnehin auf den Heimweg machen müssen.
    Der vertraute Anblick ihrer Straße tauchte unter ihnen auf, breit und mit Eichen gesäumt, die ihre letzten Blätter von sich warfen. Sie bogen bei dem Haus an der Ecke ab (schwarze Teerpappschindeln boten die beste Reibung). Ein letzter Sprung würde sie auf ihren Rasen befördern.
    Sie zog ihn dicht an sich.

    „Jessica …“ Seine Stimme klang kalt.
    „Komm, nur für ein paar …“
    „Jessica!“
    Er beugte seinen Körper, wirbelte sie in die Luft, während er mit der freien Hand auf den Boden unter ihnen zeigte.
    Jessica sah hinunter, konnte aber nichts entdecken. Ihr stockte der Atem. Instinktiv griff sie nach Demonstration und hielt sie an ihre Lippen, bereit, ihren Namen zu flüstern.
    Sie landeten im Gras, er hielt sie fest umklammert und stieß sich wieder ab. Sie wusste nicht, wo Jonathan hinwollte. Er hatte die Führung komplett übernommen, sie kam sich wie ein Gepäckstück vor. Jessica suchte den Himmel nach Darklingen, Gleitern oder anderen Wesen ab. Da waren aber nur Wolken und der untergehende Mond über ihnen.
    Der Sprung war flach und heftig und beförderte sie auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses. Jessica spürte, wie ihr ein Fingernagel abbrach, als sie mit den Händen über die Schindeln schrammte. Auf dieses Dach war Jonathan mit ihr beim allerersten Mal geflogen, fiel ihr plötzlich ein. Wie beim ersten Mal wurde sie wie ein Ballon an einer Schnur hinter ihm hergezogen.
    Sie kamen schwankend auf dem Dachfirst zum Stehen.
    „Da unten!“, flüsterte er und deutete auf das dichte Gestrüpp am Ende des Vorgartens.
    „Ein Darkling?“ Ein Gleiter hätte ihn nicht in diese Aufregung versetzen können.
    „Ich weiß nicht. Es sah … menschlich aus.“
    Ein Midnighter? , fragte sie sich. Warum sollte ihnen einer von den anderen hinterherspionieren?
    Sie krochen vorwärts und spähten über die Dachkante.
    Die Gestalt duckte sich im Gebüsch. Es war eine menschliche Gestalt, gegen die herbstliche Kälte in einen langen Mantel gehüllt, die sich einen dunklen Gegenstand vor das Gesicht hielt. Jessica zählte langsam bis zehn; die Gestalt regte sich überhaupt nicht.
    „Das ist bloß ein Starrer“, sagte sie laut, dann fiel ihr auf, dass sie Melissas Bezeichnung benutzt hatte. „Ein Normaler.“
    „Aber was … was macht der hier?“
    Sie standen gemeinsam auf und stiegen mit einem bedächtigen, eleganten Schritt über die Kante nach unten.
    Vom Boden aus konnten sie die gespenstische Blässe auf dem Gesicht des Mannes erkennen, seine unwirkliche erstarrte Haltung. Er war jung und attraktiv, aber in der blauen Zeit wirkten die meisten Leute unbeholfen, wie bei den unbeschreiblich dämlichen Posen, die Jessica stets auf Fotos zustande brachte. Seine verzierte Uhr war genau um Mitternacht stehengeblieben.
    Der Gegenstand, den er in der Hand hielt, war eine Kamera, deren Objektiv wie eine lange, schwarze Schnauze aus den Büschen hervorragte.
    „Oh mein Gott“, flüsterte Jessica.
    Die Kamera war auf ihr Haus gerichtet. Auf ihr Fenster.
    „Jonathan …“
    „Ja, ich seh’s.“
    „Das ist irgendein Stalker!“
    Jonathans Stimme wurde sanft. „Der ganz zufällig um Mitternacht hier ist? Und dein Haus beobachtet?“
    „Er kann unmöglich was wissen. Er ist ein Starrer.“
    „Sieht so aus.“ Er trat zögernd einen Schritt näher an den Mann heran und schnipste mit den Fingern vor dessen Gesicht. Keine Reaktion.
    „Was machen wir, Jonathan?“

    Er biss sich auf die Lippe. „Ich schätze, wir gehen morgen zu Rex und fragen ihn, was das bedeutet.“ Er drehte sich wieder zu ihr um. „Jetzt musst du erst mal
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