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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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und unseren Gewehren.
    »Lasst sie gehen«, sage ich.
    »Das werde ich wohl kaum tun, Todd.« Ich höre ein Lärmgrollen aus seiner Richtung.
    »Ich habe den Finger am Abzug«, sage ich. »Wenn Ihr versucht, mich mit Eurem Lärm zu treffen, seid Ihr ein toter Mann.«
    Der Bürgermeister lächelt. »Dagegen ist nichts einzuwenden«, sagt er. »Aber ehe du dich entschließt abzudrücken, mein lieber Freund Todd, solltest du dich fragen: Kannst du schneller abdrücken als ich? Wenn du mich tötest, wirst du dann deine geliebte Viola nicht ebenfalls umbringen?« Er schiebt das Kinn vor. »Könntest du damit leben?«
    »Ihr wärt auf der Stelle tot«, sage ich.
    »Sie auch«, entgegnet er.
    »Tu es, Todd!«, ruft Viola. »Du darfst ihn nicht gewinnen lassen.«
    »Das wird nicht passieren«, versichere ich ihr.
    »Kannst du teilnahmslos danebenstehen, wenn er eine Waffe auf deinen Vater richtet, David?«, fragt der Bürgermeister. Aber dabei schaut er nicht Davy, sondern mich an.
    »Die Zeiten ändern sich, Davy«, sage ich und lasse den Bürgermeister nicht aus den Augen. »Jetzt muss jeder von uns für sich entscheiden, wie es weitergehen soll. Auch du.«
    »Warum muss es so sein?«, fragt Davy. »Wir könnten alle gemeinsam gehen. Wir könnten uns aufs Pferd setzen und einfach …«
    »Nein, David«, unterbricht ihn da der Bürgermeister. »Das geht auf gar keinen Fall.«
    »Legt das Gewehr hin«, sage ich. »Legt das Gewehr hin und macht all dem ein Ende.«
    Die Augen des Bürgermeisters blitzen auf, ich weiß, was jetzt kommen wird.
    »Aufhören!«, rufe ich wütend und blicke an ihm vorbei.
    »Du kannst dieses Spiel nicht gewinnen«, sagt er. Ich höre seine Stimme doppelt, dreifach, eine ganze Legion von Bürgermeistern dröhnt in meinem Kopf. »Du kannst nicht schießen, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und wir alle wissen, dass du das niemals riskieren würdest.«
    Er macht einen Schritt auf mich zu und schubst Viola vor sich her. Wieder schreit sie gepeinigt auf.
    Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück.
    »Sieh ihm nicht in die Augen!«, warnt sie mich.
    »Ich versuche es ja«, sage ich, doch schon der bloße Klang seiner Stimme richtet Schaden in meinem Kopf an.
    »Das ist nicht schlimm, Todd«, sagt der Bürgermeister so laut, dass ich glaube, mein ganzes Gehirn vibriert. »Ich wünsche dir den Tod genauso wenig wie mir selbst. Alles, was ich vorhin gesagt habe, stimmt. Ich möchte dich an meiner Seite haben. Ich möchte, dass du Teil der Zukunft bist, die wir gemeinsam aufbauen werden mit denen, die aus diesem Schiff kommen, wer auch immer es sein mag.«
    »Haltet den Mund!«, sage ich barsch.
    Er macht einen weiteren Schritt auf mich zu. Und ich weiche vor ihm zurück.
    Bis ich sogar hinter Davy stehe.
    »Ich möchte nicht, dass Viola etwas zustößt«, fährt der Bürgermeister fort. »Ich habe euch beiden stets eine Zukunft versprochen. Dieses Versprechen gilt noch immer.«
    Auch ohne dass ich ihn direkt ansehe, summt seine Stimme durch meinen Kopf, zwingt meine Gedanken unter seine Herrschaft.
    »Hör nicht auf ihn!«, ruft Viola. »Er ist ein Lügner.«
    »Todd«, sagt der Bürgermeister. »Du bist für mich wie ein Sohn. Das ist die Wahrheit.«
    Davy sieht mich an, sein Lärm ist voller Zuversicht und er sagt: »Komm schon, Todd. Hast du nicht gehört?«
    Auch sein Lärm greift nach mir, Ungeduld und Angst recken sich mir entgegen wie die Finger einer Hand, sie bitten mich, sie betteln mich an, die Waffe fallen zu lassen, sie niederzulegen, damit alles wieder gut wird, damit alles aufhört.
    Und er sagt: »Wir könnten Brüder sein.«
    Und ich sehe in Davys Augen.
    Und ich sehe mich selbst in diesen Augen, sehe den Bürgermeister als meinen Vater und Davy als meinen Bruder und Viola als unsere Schwester.
    Sehe das hoffnungsfrohe Lächeln auf Davys Lippen.
    Und zum dritten Mal muss ich ihn bitten …
    Verzeih mir.
    Dann richte ich das Gewehr auf Davy.
    »Lasst sie gehen«, sage ich zum Bürgermeister. Ich bringe es nicht fertig, Davy in die Augen zu schauen.
    »Todd?«, sagt Davy ungläubig und runzelt die Stirn.
    »Lasst sie gehen!«
    »Und wenn nicht, was wirst du dann tun, Todd?«, stichelt der Bürgermeister. »Wirst du ihn erschießen?«
    Davys Lärm schlägt über mir zusammen in einer Welle von Fragezeichen, Überraschung, Entsetzen.
    Und mit einem schrecklichen Verdacht, der in ihm aufsteigt.
    »Antworte mir, Todd«, drängt der Bürgermeister. »Was wirst du dann tun?«
    »Todd?«,
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