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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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es dem Lauf des Flusses folgt, in Hunderten von Metern Höhe.
    Wir beobachten, wie es näher kommt.
    »David«, befiehlt der Bürgermeister, der das Schiff nicht aus den Augen lässt, »bring mein Pferd.«
    Aber Davy starrt in den Himmel, sein Lärm sprudelt voller Staunen aus ihm heraus.
    Ich weiß genau, wie ihm zumute ist.
    In New World gibt es nichts, was fliegen kann, ausgenommen die Vögel. Wir haben Maschinen, mit denen man auf Straßen fahren kann, Atomkrafträder, ein paar Atomautos, aber meist benutzen wir Pferde, Ochsenkarren und unsere Füße, um uns fortzubewegen.
    Flügel haben wir nicht.
    Das Raumschiff schwebt auf die Kathedrale zu, es fliegt über unsere Köpfe hinweg, es verharrt nicht, aber es ist so nah, dass man die Lichter an der Unterseite erkennt und der Himmel über den Triebwerken vor Hitze flirrt. Es fliegt vorbei und weiter den Fluss entlang.
    Nach Osten, dorthin, wo die Antwort ist.
    »David!«, wiederholt der Bürgermeister in scharfem Ton.
    »Hilf mir aufzustehen«, flüstert Viola. »Ich muss zu ihnen. Ich muss.«
    Ihr Blick ist wild entschlossen, ihr Atem geht stoßweise, ihr Blick ist von solcher Entschlossenheit, dass ich ihn fast auf der Haut spüre.
    »Natürlich wird er dir aufhelfen«, sagt der Bürgermeister und legt das Gewehr an. »Denn du kommst mit mir.«
    »Was?«, fragt Viola.
    »Das sind deine Leute, meine Liebe. Sie werden sich fragen, wo du bist. Entweder bringe ich dich auf dem kürzesten Weg zu ihnen«, der Bürgermeister sieht mich an, »oder ich muss ihnen sagen, dass du bedauerlicherweise beim Absturz deines Schiffes ums Leben gekommen bist. Was ist dir lieber?«
    »Ich werde nicht mitgehen«, protestiert Viola. »Ihr seid ein Lügner und ein Mörder …«
    Er schneidet ihr das Wort ab. »David, du bleibst hier und bewachst Todd, während ich Viola zu ihrem Raumschiff bringe. Viola, du weißt aus eigener Erfahrung, wie schnell mein Sohn abdrücken kann, wenn man nicht tut, was er will.«
    Viola funkelt Davy wutentbrannt an. Davy steht da, mit dem Gewehr in der Hand, und blickt zwischen seinem Pa und mir hin und her.
    Sein Lärm brodelt.
    Sein Lärm sagt klipp und klar, dass er mich unter keinen Umständen erschießen wird, niemals.
    »Pa?«, fragt er.
    »Schluss damit, David«, sagt der Bürgermeister erbost und sucht Davys Blick … und findet ihn.
    »Du wirst tun, was ich dir sage«, herrscht er seinen Sohn an. »Du wirst Todd mit dem Seil fesseln, das er freundlicherweise mitgebracht hat, und du wirst ihn bewachen. Und wenn ich mit unseren neuen Gästen zurückkomme, dann wird hier alles ruhig und friedlich sein. Dann wird eine neue Welt erstehen.«
    »Neue Welt«, murmelt Davy vor sich hin und seine Augen werden so glasig wie die des rothaarigen Soldaten. Fragen und Zweifel haben keinen Platz mehr in seinem Lärm.
    Weil der Wille eines anderen ihn beherrscht.
    Und das bringt mich auf eine Idee.
    Verzeih mir, Davy.
    »Du erlaubst ihm, so mit dir zu reden, Davy?«
    Er blinzelt. »Was?« Er dreht sich um.
    »Du lässt es tatsächlich zu, dass er seine Waffe auf mich und Viola richtet?«
    »Todd«, sagt der Bürgermeister warnend.
    »All der Lärm, den Ihr angeblich hören könnt«, sage ich zum Bürgermeister, lasse die Augen dabei aber nicht für eine Sekunde von Davy. »Und Euer Gerede darüber, dass Ihr angeblich alles wisst. Dabei kennt Ihr nicht einmal Euren eigenen Sohn richtig.«
    »David«, sagt der Bürgermeister scharf.
    Aber jetzt bin ich es, den Davy anblickt.
    »Du lässt ihn also wieder machen, was er will?«, frage ich ihn. »Du lässt dich von ihm herumkommandieren für nichts und wieder nichts?«
    Davy sieht nervös zu mir, er versucht die Verwirrung, in die ihn sein Vater gestürzt hat, wegzublinzeln.
    »Davy, dieses Schiff verändert alles«, sage ich beschwörend. »Jede Menge neue Menschen. Und eine Stadt, die es wert ist, dass man etwas weit Besseres aus ihr macht als das stinkende Drecksloch, das sie jetzt ist.«
    »David«, wiederholt der Bürgermeister und ein Lärmstrahl blitzt auf und Davy zuckt zusammen.
    »Hör auf damit, Pa«, sagt Davy.
    »Wer soll als Erster das Schiff erreichen, Davy?«, frage ich ihn. »Ich und Viola, damit wir Hilfe holen? Oder dein Vater, damit er auch die neuen Siedler beherrscht?«
    »Sei ruhig!«, ruft der Bürgermeister. »Hast du vergessen, wer das Gewehr hat?«
    »Davy hat auch eines«, sage ich ruhig.
    Für einen Augenblick ist es still, während wir alle Davy beobachten, der sich daran erinnert,
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