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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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dass er ein Gewehr in der Hand hält.
    Wieder blitzt ein Lärmstrahl auf und wieder zuckt Davy zusammen. »Verdammt noch mal, Pa, hör auf damit!«
    Als er das sagt, sieht er seinen Vater unwillkürlich dabei an.
    Und der lässt seinen Blick nicht wieder los.
    »Fessle Todd und schaff mein Pferd herbei, Davy«, befiehlt der Bürgermeister.
    »Pa?«, fragt Davy leise.
    »Mein Pferd«, wiederholt der Bürgermeister. »Es ist draußen, hinter der Kathedrale.«
    »Stell dich zwischen die beiden«, zischt mir Viola zu. »Unterbrich ihren Augenkontakt!«
    Ich mache einen Schritt auf die beiden zu, aber ohne Davy auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, richtet der Bürgermeister seine Waffe gegen Viola. »Noch eine einzige Bewegung, Todd …«
    Ich bleibe stocksteif stehen.
    »Bring mir das Pferd, Sohn«, befiehlt der Bürgermeister. »Dann werden wir Seite an Seite die neuen Siedler willkommen heißen.« Er lächelt. »Und du wirst mein Prinz sein.«
    »Das hat er schon mal gesagt«, erinnere ich Davy. »Allerdings nicht zu dir.«
    »Er beherrscht dich!«, ruft Viola. »Er setzt den Lärm gegen dich ein.«
    »Sag bitte Viola, sie soll still sein«, befiehlt der Bürgermeister seinem Sohn.
    »Sei still, Viola«, sagt Davy leise und ohne zu blinzeln.
    »Davy!«, schreie ich.
    »Er will dich nur beherrschen, David«, sagt der Bürgermeister und seine Stimme wird lauter. »So wie er es von allem Anfang an wollte.«
    »Was?« Ich traue meinen Ohren nicht.
    »Von Anfang an«, murmelt Davy vor sich hin.
    »Wer, glaubst du, Sohn, ist schuld daran, dass du nicht befördert worden bist?«, fragt der Bürgermeister und pflanzt diese Frage in Davys Hirn. »Wer, glaubst du, berichtet mir alles, was du falsch machst?«
    »Todd?«, fragt Davy zaghaft.
    »Er lügt«, sage ich. »Schau mich an!«
    Aber für Davy ist das alles zu viel. Wie gebannt starrt er auf seinen Vater und rührt sich nicht vom Fleck.
    Der Bürgermeister stößt einen tiefen Seufzer aus. »Ich sehe schon, ich muss es wohl selbst holen.«
    Er scheucht uns mit seinem Gewehr beiseite. Dann packt er Viola und stellt sie auf die Füße. Der Schmerz in ihren Knöcheln lässt sie aufschreien. Ohne zu zögern, eile ich ihr zuhilfe, aber Prentiss stößt sie mit dem Gewehrlauf vor sich her.
    Ich mache den Mund auf, will schreien, will ihm drohen, ihn verwünschen …
    Aber es ist Davy, der als Erster spricht.
    »Es landet«, sagt er ruhig.
    Wir schauen zum Himmel hinauf. Das Raumschiff beschreibt eine langsame Kurve, schwebt um einen Hügel östlich der Stadt herum.
    Vielleicht ist es der Hügel, auf dem sich früher der Turm befand.
    Es fliegt wieder auf uns zu und schwebt jetzt über den Baumwipfeln.
    Ehe es langsam immer tiefer sinkt und unseren Blicken entschwindet.
    Ich beobachte Davy, sein Blick ist umnebelt.
    Aber er sieht nicht seinen Vater an.
    Sondern das Raumschiff.
    Und dann dreht er den Kopf zu mir.
    »Todd?«, sagt er mit einer Stimme, als würde er gerade aufwachen. Und er hat sein Gewehr noch, es baumelt an seiner Hand …
    Verzeih mir, Davy.
    Ich mache einen Satz und reiße ihm das Gewehr aus der Hand. Er leistet überhaupt keinen Widerstand, er lässt es einfach geschehen, lässt einfach zu, dass ich das Gewehr an mich nehme. Und schon lege ich an, spanne es und ziele auf den Bürgermeister.
    Der lächelt und hält seine eigene Waffe noch immer auf Violas Rücken gerichtet.
    »Jetzt steht es also eins zu eins, wenn ich nicht irre?«, sagt er mit einem breiten Grinsen.
    »Lasst sie los!«, sage ich.
    »Bitte, Davy, hol dein Gewehr von Todd zurück«, sagt der Bürgermeister ruhig. Doch der muss mich im Auge behalten, er muss aufpassen, was ich mit dem Gewehr mache.
    »Untersteh dich, Davy!«
    »Hört auf damit!«, ruft Davy hilflos und sein Lärm wird lauter. Er presst die Hände gegen die Ohren. »Könnt ihr beide, verdammt noch mal, nicht endlich mit dem ganzen Mist aufhören?«
    Aber der Bürgermeister lässt mich nicht aus den Augen und ich lasse den Bürgermeister nicht aus den Augen.
    Das Donnern des landenden Raumschiffs erfasst die Stadt, es erstickt den Lärm der Armee, die den Hügel herabmarschiert, es erstickt die fernen Detonationen, mit denen sich die Antwort ihren Weg bahnt, es legt sich über das Entsetzen von New Prentisstown, das aus dem Verborgenen kommt und uns einhüllt, das Dröhnen der Menschen, die nicht wissen, dass ihre ganze Zukunft in diesem Augenblick, in dieser Sekunde entschieden wird, von mir und dem Bürgermeister
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